Rechtliche Grundlagen

Die Auseinandersetzung mit rechtlichen und administrativen Grundlagen Sozialer Arbeit gilt unter Studierenden und Praktikern der Sozialen Arbeit als weniger beliebt; weil vermeintlich trocken, langweilig oder schwer. Da es unserem Klientel jedoch noch um ein Vielfaches schwerer fällt, muss es auf uns vertrauen können; wollen wir das Vertrauen nicht enttäuschen, müssen wir uns diesen Bereich selber sorgfältig erschließen. Da unsere Klienten immer zugleich helfenden, sowie kontrollierenden Strategien ausgesetzt sind, müssen wir uns folgerichtig mit Rechtsnormen sowohl der Hilfe, als auch der Kontrolle auseinandersetzen. Sozialarbeit orientiert sich am individuellem Wohl und Bedarf benachteiligter Menschen.



Da Gesetze aber genau von jenen Menschen formuliert, verabschiedet, umgesetzt und gerichtet werden, die alles andere als benachteiligt sind, kann ein Spannungsverhältnis entstehen zwischen der Legalität von Normen und ihrer Legitimität aus Perspektive von Klienten und Sozialer Arbeit. An dieser Stelle darf zwar nicht dazu aufgerufen werden, im Arbeitsalltag Gesetze zu brechen; sie und ihre Anwendung jedoch im politischen und öffentlichen Diskurs zu problematisieren und zu versuchen, sie zu verändern, wird zur Pflicht:

Am BSP des Cannabiskonsum kann kurz das Dilemma skizziert werden, als Sozialpädagoge zwischen den Stühlen der Legalität und Legitimität zu stehen:

Der Tagesthemensprecher Wickert hat gekifft, es hat ihm nicht gefallen; der ehemalige Präsident Clinton hat gekifft, er hatte aber einen Horrortrip, ich hab gekifft und hatte Kopfschmerzen.Kiffen ist lt. BTMG i.V.m. JGG/STGB illegal; deswegen will ich es in meinem Jugendclub weder wissen noch sehen; auf jeden Fall nicht öffentlich überführt werden, es gewusst oder gesehen zu haben.Für meine Arbeit mit den Jugendlichen müsste es eigentlich irrelevant sein, ob ich selbst oder Dritte mit Cannabis umgehen können oder nicht, solange es denn meine Kids können. Da Kiffen -zumindest im Vergleich zum Saufen- für alle Beteiligten weniger gefährlich ist, ist die Legitimation strafrechtlicher Eingriffe eigentlich schon nach dem Gleichheitsgrundsatzfraglich, da Gleiches (i.d.Z. Cannabis und Alkohol) nicht ungleich behandelt werden dürfte. Für die Arbeit ist es unerträglich, mit unserem Klientel nicht über mögliche Gefahren sprechen zu dürfen, weil wir ja nichts sehen und wissen dürfen; glauben unsere Jugendlichen, dass wir wirklich nichts sehen und wissen, halten sie uns für stumpf und blind, glauben Polizei, Jugendamt oder ,Bild' das Gegenteil, riskieren wir unsere staatliche Anerkennung.Es ist wiederum eine Frage des Gleichheitsprinzips wenn bei Alkohol am Steuer die direkte Fahrtüchtigkeit (nach Promille) darüber entscheidet, ob der Führerschein abgegeben werden muss, bei Cannabis aber ausreicht, dass der Konsum prinzipiell nachgewiesen werden kann, auch wenn er Tage zurück liegt und für die konkrete Fahrtüchtigkeit irrelevant ist zeigt. Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit scheint verletzt, wenn konkret niemand gefährdet ist unsere Jungerwachsenen aber nachhaltig kriminalisiert und im Berufseinstieg benachteiligt werden. In Praxis und kriminologischer wie soziologischer Debatte lässt sich seit Jahrzehnten der Verdacht nicht entkräften, dass sich die Kriminalisierung nicht gegen den Konsum, sondern gegen den Konsumenten richtet. Der scheinbar graduelle Unterschied ist juristisch betrachtet fundamental. Ist der Cannabiskonsum vielleicht nur ein Vorwand, eine bestimmte Teilgruppe der Gesellschaft zu disziplinieren? Werden Grundrechte der Verfassung verletzt, wenn man die freie Meinungsäußerung der tendenziell system-oppositionellen Kiffer nicht bestrafen kann, könnte deren bevorzugte Droge als Vorwand dienen; Alkoholkonsumenten zeichnen sich durch eine deutlich höhere Anpassung an das bestehende politische System aus. Eine derartige Differenzierung könnte letztendlich als Herrschafts- oder Klassenjustiz missverstanden werden.Zwar sind Sozialpädagogen für ihre Klientel letztendlich ,kleine Juristen'; niemals jedoch dürfen sie sich nach außen als solche verkaufen, riskieren sie anderenfalls doch unheilvolle Auseinandersetzungen mit den Berufsverbänden der Rechtswissenschaft...



Ich will mich hier auf einzelne Aspekte des Rechts beschränken und dringend raten ,über den eigenen Schatten zu springen' und sich in diesem Bereich über das formal notwendige Maß hinaus, zu qualifizieren!

Von ,Sozialstaat' kann erst seit der Verabschiedung des GG am 13.5.49 gesprochen werden. Traditionell wird sich auf §§20,28 GG konzentriert, die festlegen, dass "die Bundesrepublik Deutschland ein demokratischer und sozialer Bundesstaat ist." Diese Stelle ist zweifelsfrei zur Begründung Sozialer Arbeit von zentraler Bedeutung; sie allein reicht allerdings nicht aus; die vorher formulierten 19 Grundrechten sind immer ergänzend in einen Zusammenhang zu stellen. Keine der im Bundestag vertretenden Parteien stellt das Sozialstaatsprinzip des § 20 GG prinzipiell in Frage, fast alle verändern jedoch gleichzeitig ihre Interpretation der Grundrechte, insbesondere der Menschenwürde und unterhöhlen damit den inhaltlichen Kern dessen, was der Sozialstaat zu seien vorgibt: Sozialstaat wird zunehmend im Sinne sozialer Grundpflichten anstelle sozialer Grundrechte des Einzelnen verstanden. Das GG zeichnet sich -als Reaktion auf den NS- aber v.a. dadurch qualitativ aus, dass die individuellen und v.a. einklagbaren Grundrechte jedes Einzelnen i.S. von Schutzrechten gegenüber dem Staat und gesellschaftlicher Mehrheiten in den Mittelpunkt gerückt wurden. Unter dem Schlachtruf ,Fördern und Fordern' wird diese verfassungsrechtlich hervorgehobene Position des Einzelnen heute relativiert und zur Disposition gestellt. Die Debatte über die Rechte und Pflichten des Einzelnen in der Gemeinschaft sind Herrschaftsdiskurse, die Gefahr laufen, sich irgendwann als Norm zunächst informell und später formell zu etablieren und den Einzelnen wieder ,im Namen des Volkes' zu verpflichten, zu zwingen, zu bestrafen.Gelten die Grundrechte als unteilbar und aus gutem Grund gegenüber Mehrheitsentscheidungen geschützt, ist es erschreckend, wenn soziale Grundrechte von Einzelnen und Minderheiten gegenüber Mehrheitswünschen zur Disposition gestellt werden:

Die Frage nach dem Verhältnis zwischen individuellen und staatlichen Rechten und Pflichten ist nicht nur für unsere Profession zentral: Der Parole ,Du bist nichts, dein Volk ist alles' sollte auf Grund der Erfahrung des NS durch das GG ein Kontrapunkt gesetzt werden; an der Frage, zu welcher Seite in Krisenzeiten das Verhältnis von Individuum und Staat aufgelöst wird, lässt sich die Stärke der demokratischen ,Verfassung' des Staates im wahrsten Sinne des Wortes ablesen! Die soziale Marktwirtschaft basiert auf dem Gedanken von gesamtgesellschaftlicher Solidarität, um jedem ein menschenwürdiges Leben zu sichern. In Zeiten wirtschaftlicher Stagnation werden die Bezugspunkte regelhaft vertauscht, werden die Interessen der Ökonomie über die der Menschenwürde, sowie die staatlichen Interessen über die individuellen gestellt; das scheint verfassungswidrig zu sein.<ref>Vgl. Heide Simonis in: Tagesschau; 5/2003 </ref> Dem Einzelnen wird im §19 GG das Klagerecht zuerkannten, sollte er/sie sich in der Grundrechten verletzt fühlen; Dritten ist in §20 GG bei Verletzung von Verfassungsrechten das "Recht zum Widerstand" zuerkannt, wenn "andere Abhilfe nicht möglich ist"; spätestens dann sind auch die Institutionen der Sozialen Arbeit aufgefordert, zum Wohle ihrer Zielgruppe einen Beitrag zu leisten! Man kann die Bedeutung der Grundrechte als Bezugspunkte unserer Arbeit nicht stark und häufig genug herausstellen.

1. Die Grundrechte:

Artikel 1 (Menschenwürde ? Rechtsverbindlichkeit der Grundrechte)

(1) Die Würde des Menschen ist unantastbar. Sie zu achten und zu schützen ist Verpflichtung aller staatlichen Gewalt.
(2) Das Deutsche Volk bekennt sich darum zu unverletzlichen und unveräußerlichen Menschenrechten als Grundlage jeder menschlichen Gemeinschaft, des Friedens und der Gerechtigkeit in der Welt.
(3) Die nachfolgenden Grundrechte binden Gesetzgebung, vollziehende Gewalt und Rechtsprechung als unmittelbar geltendes Recht.

Artikel 2 (Allgemeines Freiheitsrecht)

(1) Jeder hat das Recht auf die freie Entfaltung seiner Persönlichkeit...

Artikel 3 (Gleichheit vor dem Gesetz)

(1) Alle Menschen sind vor dem Gesetz gleich.
(2) Männer und Frauen sind gleichberechtigt. (...) Niemand darf wegen seiner Behinderung benachteiligt werden.

(...)

Artikel 6 (Ehe - Familie - Kinder)

(1) Ehe und Familie stehen unter dem besonderen Schutze der staatlichen Ordnung.
(2) Pflege und Erziehung der Kinder sind das natürliche Recht der Eltern und die zuvörderst ihnen obliegende Pflicht. Über ihre Betätigung wacht die staatliche Gemeinschaft.
(3) Gegen den Willen der Erziehungsberechtigten dürfen Kinder nur auf Grund eines Gesetzes von der Familie getrennt werden, wenn die Erziehungsberechtigten versagen oder wenn die Kinder aus anderen Gründen zu verwahrlosen drohen.
(4) Jede Mutter hat Anspruch auf den Schutz und die Fürsorge der Gemeinschaft.

(...)

Artikel 12 (Berufsfreiheit)

(1) Alle Deutschen haben das Recht, Beruf, Arbeitsplatz und Ausbildungsstätte frei zu wählen. Die Berufsausübung kann durch Gesetz oder auf Grund eines Gesetzes geregelt werden.
(2) Niemand darf zu einer bestimmten Arbeit gezwungen werden, außer im Rahmen einer herkömmlichen allgemeinen, für alle gleichen öffentlichen Dienstleistungspflicht.
(3) Zwangsarbeit ist nur bei einer gerichtlich angeordneten Freiheitsentziehung zulässig.

Artikel 13 (Unverletzlichkeit der Wohnung)

(1) Die Wohnung ist unverletzlich.

(...)

(7) Eingriffe und Beschränkungen dürfen im übrigen nur zur Abwehr einer gemeinen Gefahr oder einer Lebensgefahr für einzelne Personen, auf Grund eines Gesetzes auch zur Verhütung dringender Gefahren für die öffentliche Sicherheit und Ordnung, insbesondere zur Behebung der Raumnot. zur Bekämpfung von Seuchengefahr oder zum Schutze gefährdeter Jugendlicher vorgenommen werden.

Artikel 14 (Eigentum - Erbrecht - Enteignung)

(1) Das Eigentum und das Erbrecht werden gewährleistet. Inhalt und Schranken werden durch Gesetze bestimmt.
(2) Eigentum verpflichtet. Sein Gebrauch soll zugleich dem Wohle der Allgemeinheit dienen.

(...)

Aus allen Grundrechten wird die Menschenwürde in §1 GG besonders akzentuiert und zum Leitziel ,aller staatlichen Gewalt' erklärt. Entsprechend Absatz (3) sind alle drei staatlichen Gewalten -gesetzgebende Politik, gesetzausführende Verwaltung und rechtsprechende Justiz- unmittelbar an Grund- und Menschenrechten gebunden. Recht ist hierarchisch strukturiert. Dies kann grob systematisiert werden:

1. an oberster Stelle stehen die Grundrechte des GG;

2. es folgen die anderen grund- bzw. verfassungsrechtlichen Bestimmung;

3. diese "binden" die Bundesgesetze und darunter die Gesetze der Länder.

4. Kommunen können Satzungen und Verordnungen erlassen.

5. Die Verwaltung erlässt interne Dienstanordnungen und -weisungen.

Die Rechtsumsetzung darf mit den Rechtsnormen und die Rechtsnormen dürfen mit den jeweils höherangigen nicht kollidieren. Für die Soziale Arbeit besonders wichtig zu wissen, ist die Existenz von rechtsverbindlichen Durchführungsverordnung zu verschiedenen Gesetzen, sowie internen schriftlichen Verwaltungsanordnungen oder auch mündlicher Dienstanweisungen bezüglich der konkreten Rechtsanwendung in der Verwaltung. Diese Vorschriften müssen sich genau so in die Rechtssystematik einordnen wie letztendlich sogar jedes verwendete Formular. Da diese Rechtsanwendung fehlerhaft sein kann, steht der Rechtsweg offen; ggf. sogar bis zum Bundesverfassungsgericht. Dessen Urteile haben dann unmittelbar Gesetzeskraft und sind prinzipiell auf der zweiten Ebene anzusiedeln.

Wir sind unserem Klientel schuldig, ihre Rechtsansprüche sicherzustellen. Da die Verwaltung i.d.R. ihrer rechtlichen Verpflichtung nicht nachkommt, über Ansprüche und Verfahren objektiv aufzuklären, müssen wir einspringen und sicherstellen, dass keine Ansprüche mangels Antragsstellung oder rechtswidriger Ablehnung unter den Tisch fallen. Im Ernstfall müssen wir ggf. professionelle Rechtshilfe organisieren und als erstes die Ängste bezüglich hoher Anwaltskosten nehmen. Bei der Beurteilung von Rechtsansprüchen können wir uns zunächst auf unseren gesunden Berufsverstand verlassen, hilfreich ist ein ,gesundes' Misstrauen gegenüber Bescheiden der Verwaltung. Fortbildungen oder die Lektüre der einschlägigen Rechtskommentare bleibt jedoch unerlässlich! Es wird immer wieder bekannt, dass es mündliche und daher schwer überprüfbare rechtswidrige Dienstanweisungen gibt, die gegen Rechtsnormen verstoßen. Mal wird



Wie kann es aussehen, Klienten außerhalb meines eigenen Schwerpunktes in administrativen Angelegenheiten zu unterstützen. Mein Grundwissen reicht aus, Widersprüchlichkeiten und Fehler zu Lasten meiner Klienten -ggf. auch nur intuitiv- im Verwaltungshandeln zu entdecken; ich muss um die Existenz von Kommentaren wissen und mich in ihrer Systematik zurechtfinden, sollte Informationsquellen finden und nutzen können und mich nach abgelehnten Widersprüchen ernsthaft fragen, ob ich einen Rechtsprofi hinzuziehen soll. Man muss in der Praxis nicht sofort Lösungen hervorzaubern können. Man vertröstet im Zweifelsfall seinen Klienten, um dann zügig die mit hoher Wahrscheinlichkeit richtigen Quellen, Schritte, Wege und Akteure zu finden...<ref>www.agtuwas.de; www.erwerbslos.de; www.tacheles-sozialhilfe.de; www.fehlt-ihnen-etwas.de; Fachhochschulverlag Frankfurt: ,Leitfaden für Arbeitslose'; Nomos Verlagsgesellschaft: ,info also'; Nomos Verlagsgesellschaft: ,BSHG Lehr und -Praxiskommentar; AG TuWas (Kleiststr.12; 60318 Frankfurt/M.) Leitfaden der Sozialhilfe von A-Z.</ref>

Einige Beispiele:

Arbeitslosengeld:

 
 
Mein Bescheid und Wiederspruch - vor Klage damit drohen und neuer Bescheid
 
 

Schultüte:

Wenn das Kind einer Klientin in die Schule kommt, braucht es eine Schultüte, damit es nicht zu diesem feierlichen Anlass mit leeren Händen in der neuen Umgebung steht und schon zu Beginn durch die leuchtenden Augen der Mitschüler und deren bunte Tüten traumatisiert wird.Steht die Mutter schwankend zwischen Wut und Trauer vor uns, weil sich das Sozialamt geweigert hat, den Antrag anzunehmen und sie gleich mündlich abgewiesen wurde, wissen wir, dass der Antrag unabhängig vom Erfolg hätte angenommen und -schriftlich begründet- entschieden werden muss. Unsere Klientin jetzt aber allein auf Erfolgs-Verdacht zum Sozialamt zurückzuschicken, fällt schwer. Ich vergewissere mich, dass die "Beschaffung von besonderen Lernmitteln für Schüler" gem. § 21 Bundessozialhilfegesetz (BSHG) als einmalige Hilfe beantragt werden kann. Nun, mit begründeter Hoffnungen, kehrt sie zurück und kann den Antrag abgeben. Danach ermuntere ich sie, sich selber mehr in ihre Sozialhilferechte einzuarbeiten; gemeinsam bestellen wir den Leitfaden für Sozialhilfe und ich nutze die Chance ihr den sinnvollen Umgang mit PC und I-Netz näher zu bringen und nenne ihr hilfreiche Internetadressen.

Zehn Tage später kommt der ablehnende Bescheid, weil es als vermeintlich ,Anschaffung von geringem Wert' aus der regelmäßigen Zahlung beglichen werden müsste. Obwohl ich keine Juristin bin und im Freizeitclub für alleinstehende Frauen wenig mit Sozialhilfe zu tun habe, habe ich für den Verein einen Kommentar zum BSHG erworben und erfahre dort, dass eine Schultüte mit Bleistiften, Radiergummi, Schulhefte, Zirkel, Lineal, Taschenrechner und Schultasche zu bewilligen ist. Nur mit viel Bemühen lässt sich die Frau überreden, einen Widerspruch zu schreiben, hat Angst, die Sachbearbeiterin würde verärgert sein und zukünftig Ärger machen.Ich musste schwören, dass mit einem Widerspruch keine Kosten verbunden sind und erklären, dass es ein normaler Verwaltungsvorgang sei, an dem eine Sachbearbeiterin zu wenig emotional hängt, als dass sie in Zukunft nun immer Ärger machen würde. Wieder 10 Tage später kommt folgender Widerspruchsbescheid:

 
 
Schultüte
 
 

Klassenfahrt:

Nachdem wir letztes Mal erst nach der Klageandrohung Recht bekamen, wollen wir uns diesmal besser vorbereiten und greifen gleich nach dem ,BSHG - Lehr- und Praxiskommentar', weil er uns in relativ leicht verständlicher Form auch gleich Ansatzpunkte zur Begründung des Antrages bietet. Zum § 21 BSHG zu Besondere Lernmittel für Schüler, Klassenfahrten (Abs. la Nr. 3) steht:

"Der notwendige Lebensunterhalt umfasst für Schüler auch Aufwendungen für die Teilnahme an einer mehrtägigen Klassenfahrt (BVerwG NJW 1995, 2369), auch in das Ausland (Studienreise) nach Ende der allgemeinen Schulpflicht (VG Braunschweig info also2/1986, 77), einschränkend auf Schüler im Rahmen der allgemeinen Schulpflicht (OVG NW FEVS 37, 122). Die Teilnahme an einer Klassenfahrt wird in der Regel aus pädagogischer Sicht als notwendig angesehen, es handelt sich um eine schulische Maßnahme, für die pädagogische Ziele bestimmend sind, sie ist ein wichtiger Bestandteil der Erziehung durch die Schule, sie ist geeignet, die Einsicht der Schüler in die eigene Verantwortung für sich und andere zu fördern und die in der Schule erworbenen Kenntnisse durch unmittelbare Anschauung zu ergänzen.

Die Nichtteilnahme an einer Klassenfahrt bedeutet somit ein erzieherisches Defizit für den Schüler und birgt auch die Gefahr einer gewissen Isolation innerhalb der Klasse in sich. Dies zu verhindern ist auch die Aufgabe der HzL. Hält sich eine Schulfahrt im Rahmen der schulrechtlichen Bestimmungen und des Üblichen, ist grundsätzlich auch einem hilfebedürftigen Kind mit Mitteln der Sozialhilfe zu ermöglichen, an der Fahrt teilzunehmen, ohne dass im konkreten Einzelfall noch zu prüfen ist, ob dem Kind wesentliche Nachteile drohen, wenn es an der Veranstaltung nicht teilnimmt und ob die Veranstaltung pädagogisch notwendig oder nützlich ist (OVG Lüneburg FEVS 42, 79)."

Auch für die Beratung Arbeitsloser gibt es einen Kommentar, da der jedoch sehr teuer ist empfiehlt es sich für den gelegentlichen Bedarf den ,Leitfaden für Arbeitslose' zu kaufen. Hier wird einleitend darauf hingewiesen, dass gegenüber dem Arbeitsamt 38,4% aller Widersprüche und 34,9% aller Klagen ganzen oder teilweisen Erfolg haben! Der Rechtsweg lohnt sich, v.a. weil die erst Gerichtsinstanz keine Gebühren kostet und es keinen Anwaltszwang gibt und man sich -i.d.R. in entspannter Atmosphäre- sogar selbst vertreten kann...



Andere Sozialgesetze:

Die für die Sozialarbeit in den verschiedenen Arbeitsfeldern wichtigsten und direkten Rechtsnormen sind die Gesetze der Sozialversicherung (Pflege, Krankheit, Renten-, Arbeitsförderung), das KJHG und das BSHG. Für alle Sozialgesetze gelten übergeordnet die allgemeinen Bestimmungen der Sozialgesetzbücher SGBI/X. Das gesamte Sozialrecht bezieht sich auf §§20,28 und die Grundrechte des GG. Das BauGB spielt eine Rolle für stadtteilbezogene Ansätze Sozialer Arbeit; es stellt -wie alle speziellen Sozialgesetze auch- die Orientierung an der Menschenwürde und dem Wohl der Menschen in den Vordergrund.

Sozialgesetzbuch (SGBI) - Allgemeiner Teil:

§1 Aufgaben des Sozialgesetzbuchs
(2) Das Recht des Sozialgesetzbuchs soll auch dazu beitragen, dass die zur Erfüllung der in Absatz 1 genannten Aufgaben erforderlichen sozialen Dienste und Einrichtungen rechtzeitig und ausreichend zur Verfügung stehen.

(...)

§16 Antragstellung
(1) Anträge auf Sozialleistungen sind beim zuständigen Leistungsträger zu stellen. Sie werden auch von allen anderen Leistungsträgern, von allen Gemeinden (...) entgegengenommen.

(...)

§17 Ausführung der Sozialleistungen
(1) Die Leistungsträger sind verpflichtet, darauf hinzuwirken, dass

1. jeder Berechtigte die ihm zustehenden Sozialleistungen in zeitgemäßer Weise, umfassend und schnell erhält,

2. die zur Ausführung von Sozialleistungen erforderlichen sozialen Dienste und Einrichtungen rechtzeitig und ausreichend zur Verfügung stehen und

3. der Zugang zu den Sozialleistungen möglichst einfach gestaltet wird, insbesondere durch Verwendung allgemein verständlicher Antragsvordrucke.

(...)

Bundessozialhilfegesetz (BSHG):

§1 Inhalt und Aufgabe der Sozialhilfe
(1) Die Sozialhilfe umfasst Hilfe zum Lebensunterhalt und Hilfe in besonderen Lebenslagen.
(2) Aufgabe der Sozialhilfe ist es, dem Empfänger der Hilfe die Führung eines Lebens zu ermöglichen, das der Würde des Menschen entspricht. Die Hilfe soll ihn soweit wie möglich befähigen, unabhängig von ihr zu leben; hierbei muss er nach seinen Kräften mitwirken.
§2 Nachrang der Sozialhilfe
(1) Sozialhilfe erhält nicht, wer sich selbst helfen kann oder wer die erforderliche Hilfe von anderen, besonders von Angehörigen oder von Trägern anderer Sozialleistungen erhält.

(...)

§3 Sozialhilfe nach der Besonderheit des Einzelfalles
(1) Art, Form und Maß der Sozialhilfe richten sich nach der Besonderheit des Einzelfalles, v.a. nach der Person des Hilfeempfängers, der Art seines Bedarfs und den örtlichen Verhältnissen. (...) Wünschen des Hilfeempfängers, die sich auf die Gestaltung der Hilfe richten, soll entsprochen werden soweit sie angemessen sind.

(...)

§5 Einsetzen der Sozialhilfe

Sozialhilfe setzt ein, sobald dem Träger der Sozialhilfe oder den von ihm beauftragten Stellen bekannt wird, dass die Voraussetzungen für die Gewährung vorliegen.

(...)

§7 Familiengerechte Hilfe

Bei Gewährung der Sozialhilfe sollen die besonderen Verhältnisse in der Familie des Hilfesuchenden berücksichtigt werden. Die Sozialhilfe soll die Kräfte der Familie zur Selbsthilfe anregen und den Zusammenhalt der Familie festigen.

§8 Formen der Sozialhilfe
(1) Formen der Sozialhilfe sind persönliche Hilfe, Geldleistung oder Sachleistung.

(...)

Hilfe zum Lebensunterhalt:

§11 Personenkreis
(1) Hilfe zum Lebensunterhalt ist dem zu gewähren, der seinen notwendigen Lebensunterhalt nicht oder nicht ausreichend aus eigenen Kräften und Mitteln, v.a. aus seinem Einkommen und Vermögen. beschaffen kann.

(...)

§12 Notwendiger Lebensunterhalt
(1) Der notwendige Lebensunterhalt umfasst besonders Ernährung, Unterkunft, Kleidung, Körperpflege, Hausrat, Heizung und persönliche Bedürfnisse des täglichen Lebens. Zu den persönlichen Bedürfnissen des täglichen Lebens gehören in vertretbarem Umfange auch Beziehungen zur Umwelt und eine Teilnahme am kulturellen Leben.
(2) Bei Kindern und Jugendlichen umfasst der notwendige Lebensunterhalt auch den besonderen, v.a. den durch ihre Entwicklung und ihr Heranwachsen bedingten Bedarf.
§21 Laufende und einmalige Leistungen

Hilfe zum Lebensunterhalt kann durch laufende und einmalige Leistungen gewährt werden.

(la) Einmalige Leistungen werden insbesondere zur
1. Instandsetzung von Bekleidung, Wäsche und Schuhen in nicht kleinem Umfang und deren Beschaffung von nicht geringem Anschaffungspreis,
2. Beschaffung von Brennstoffen für Einzelheizungen,
3. Beschaffung von besonderen Lernmitteln für Schüler,
4. Instandsetzung von Hausrat in nicht kleinem Umfang,
5. Instandhaltung der Wohnung,
6. Beschaffung von Gebrauchsgütern von längerer Gebrauchsdauer und von höherem Anschaffungswert sowie
7. für besondere Anlässe gewährt.

(...)

§22 Regelbedarf

(...)

(3) Die Regelsätze sind so zu bemessen, dass der laufende Bedarf dadurch gedeckt werden kann. Die Regelsatzbemessung hat Stand und Entwicklung von Nettoeinkommen, Verbraucherverhalten und Lebenshaltungskosten zu berücksichtigen. Grundlage sind die tatsächlichen, statistisch ermittelten Verbrauchsausgaben von Haushalten in unteren Einkommensgruppen.

(...)

Hilfen in besonderen Lebenslagen:

§39 Personenkreis und Aufgabe
(1) Personen, die nicht nur vorübergehend körperlich, geistig oder seelisch wesentlich behindert sind, ist Eingliederungshilfe zu gewähren. Personen mit einer anderen körperlichen, geistigen oder seelischen Behinderung kann sie gewährt werden.

(...)

(3) Aufgabe der Eingliederungshilfe ist es, eine drohende Behinderung zu verhüten oder eine vorhandene Behinderung oder deren Folgen zu beseitigen oder zu mildern und den Behinderten in die Gesellschaft einzugliedern. Hierzu gehört vor allem, dem Behinderten die Teilnahme am Leben in der Gemeinschaft zu ermöglichen oder zu erleichtern, ihm die Ausübung eines angemessenen Berufs oder einer sonstigen angemessenen Tätigkeit zu ermöglichen oder ihn soweit wie möglich unabhängig von Pflege zu machen.

(...)

§40 Maßnahmen der Hilfe

(...)

6a. Hilfe bei der Beschaffung und Erhaltung einer Wohnung, die den besonderen Bedürfnissen des Behinderten entspricht.

(...)

8. Hilfe zur Teilnahme am Leben in der Gemeinschaft.

(...)

§72 Hilfe zur Überwindung besonderer sozialer Schwierigkeiten
(1) Personen, bei denen besondere Lebensverhältnisse mit sozialen Schwierigkeiten verbunden sind, ist Hilfe zur Überwindung dieser Schwierigkeiten zu gewähren, wenn sie aus eigener Kraft hierzu nicht fähig sind. Soweit der Hilfebedarf durch Leistungen nach anderen Bestimmungen dieses Gesetzes oder nach dem KJHG gedeckt wird, gehen diese der Hilfe nach Satz 1 vor.
(2) Die Hilfe umfasst alle Maßnahmen, die notwendig sind, um die Schwierigkeiten abzuwenden, zu beseitigen, zu mildern oder ihre Verschlimmerung zu verhüten, v.a. Beratung und persönliche Betreuung für den Hilfesuchenden und seine Angehörigen, Hilfen zur Ausbildung, Erlangung und Sicherung eines Arbeitsplatzes sowie Maßnahmen bei der Erhaltung und Beschaffung einer Wohnung. Zur Durchführung der erforderlichen Maßnahmen ist in geeigneten Fällen ein Gesamtplan zu erstellen.


(...)

Kinder- und Jugendhilfegesetz (KJHG / SGBVIII):

§1 Recht auf Erziehung, Elternverantwortung, Jugendhilfe
(1) Jeder junge Mensch hat ein Recht auf Förderung seiner Entwicklung und auf Erziehung zu einer eigenverantwortlichen und gemeinschaftsfähigen Persönlichkeit.
(2) Pflege und Erziehung der Kinder sind das natürliche Recht der Eltern und die zuvörderst ihnen obliegende Pflicht. Über ihre Betätigung wacht die staatliche Gemeinschaft.
(3) Jugendhilfe soll zur Verwirklichung des Rechts nach Absatz 1 insbesondere junge Menschen in ihrer individuellen und sozialen Entwicklung fördern und dazu beitragen, Benachteiligungen zu vermeiden oder abzubauen. Eltern und andere Erziehungsberechtigte bei der Erziehung beraten und unterstützen, Kinder und Jugendliche vor Gefahren für ihr Wohl schützen, dazu beitragen, positive Lebensbedingungen für junge Menschen und ihre Familien sowie eine kinder- und familienfreundliche Umwelt zu erhalten oder zu schaffen.
§8 Beteiligung von Kindern und Jugendlichen

Kinder und Jugendliche sind entsprechend ihrem Entwicklungsstand an allen sie betreffenden Entscheidungen der öffentlichen Jugendhilfe zu beteiligen.

(...)

(2) Kinder. und Jugendliche haben das Recht, sich in allen Angelegenheiten der Erziehung und Entwicklung an das Jugendamt zu wenden.

(...)

§9 Grundrichtung der Erziehung, Gleichberechtigung von Mädchen und Jungen

Bei der Ausgestaltung der Leistungen und der Erfüllung der Aufgaben sind

(...)

(2) die wachsende Fähigkeit und das wachsende Bedürfnis des Kindes oder des Jugendlichen zu selbständigem, verantwortungsbewusstem Handeln sowie die jeweiligen besonderen sozialen und kulturellen Bedürfnisse und Eigenarten junger Menschen und ihrer Familien zu berücksichtigen.
(3) die unterschiedlichen Lebenslagen von Mädchen und Jungen zu berücksichtigen, Benachteiligungen abzubauen und die Gleichberechtigung von Mädchen und Jungen zu fördern.

(...)

§11 Jugendarbeit
(1) Jungen Menschen sind die zur Förderung ihrer Entwicklung erforderlichen Angebote der Jugendarbeit zur Verfügung zu stellen. Sie sollen an den Interessen junger Menschen anknüpfen und von ihnen mitbestimmt und mitgestaltet werden, sie zur Selbstbestimmung befähigen und zu gesellschaftlicher Mitverantwortung und zu sozialem Engagement anregen und hinführen.
(2) Jugendarbeit wird angeboten von Verbänden, Gruppen und Initiativen der Jugend, von anderen Trägem der Jugendarbeit und den Trägern der öffentlichen Jugendhilfe. Sie umfasst für Mitglieder bestimmte Angebote, die offene Jugendarbeit und gemeinwesenorientierte Angebote.
(3) Zu den Schwerpunkten der Jugendarbeit gehören:
1. außerschulische Jugendbildung mit allgemeiner, politischer, sozialer, gesundheitlicher, kultureller, naturkundlicher und technischer Bildung,
2. Jugendarbeit in Sport, Spiel und Geselligkeit,
3. arbeitswelt-, schul- und familienbezogene Jugendarbeit,
4. internationale Jugendarbeit,
5. Kinder- und Jugenderholung,
6. Jugendberatung.
(4) Angebote der Jugendarbeit können auch Personen, die das 27. Lebensjahr vollendet haben, in angemessenem Umfang einbeziehen.

(...)

§13 Jugendsozialarbeit
(1) Jungen Menschen, die, zum Ausgleich sozialer Benachteiligungen oder zur Überwindung individueller Beeinträchtigungen in erhöhtem Maße auf Unterstützung angewiesen sind, sollen im Rahmen der Jugendhilfe sozialpädagogische Hilfen angeboten werden, die ihre schulische und berufliche Ausbildung, Eingliederung in die Arbeitswelt und ihre soziale Integration fördern.
(2) Soweit die Ausbildung dieser jungen Menschen nicht durch Maßnahmen und Programme anderer Träger und Organisationen sichergestellt wird, können geeignete sozialpädagogisch begleitete Ausbildungs? und Beschäftigungsmaßnahmen angeboten werden, die den Fähigkeiten und dem Entwicklungsstand dieser jungen Menschen Rechnung tragen.
(3) Jungen Menschen kann während der Teilnahme an schulischen oder beruflichen Bildungsmaßnahmen oder bei der beruflichen Eingliederung Unterkunft in sozialpädagogisch begleiteten Wohnformen angeboten werden. In diesen Fällen sollen auch der notwendige Unterhalt des jungen Menschen sichergestellt und Krankenhilfe nach Maßgabe des § 40 geleistet werden.
(4) Die Angebote sollen mit den Maßnahmen der Schulverwaltung, der Bundesanstalt für Arbeit, der Träger betrieblicher und außerbetrieblicher Ausbildung sowie der Träger von Beschäftigungsangeboten abgestimmt werden.

Weitere Hilfeangebote nach KJHG:

§ 16 Allgemeine Förderung der Erziehung in der Familie

§ 18 Beratung und Unterstützung bei der Ausübung der Personensorge

§ 19 Gemeinsame Wohnformen für Mütter/Väter und Kinder

§ 23 Tagespflege

§ 28 Erziehungsberatung

§ 29 Soziale Gruppenarbeit

§ 30 Erziehungsbeistand, Betreuungshelfer

§ 31 Sozialpädagogische Familienhilfe

§ 32 Erziehung in einer Tagesgruppe

§ 33 Vollzeitpflege

§ 34 Heimerziehung, sonstige betreute Wohnformen

§ 35 Intensive sozialpädagogische Einzelbetreuung

Als weitere relevante Gesetze sollen an dieser Stelle benannt aber nicht weiter ausgeführt werden:

Rechtliche Grundprinzipien der Sozialen Arbeit:

Das Einzelfallprinzip:

Bei der Einführung von Pauschalen für z.B. Kleidung wurde der Widerspruch zum Einzelfallprinzip dadurch gelöst, dass man über die Pauschalen hinausgehende Anträge nicht generell ausschließt, die ,Beweislast' für einen individuell überdurchschnittlichen Bedarf aber in Gänze auf die Seite des Antragsteller schiebt. Damit war die Realisierung des individuellen Bedarfs wesentlich erschwert. Wenn das Sozialamt jedoch -den Einzelfall ignorierend- pauschal für alle Sozialhilfe Empfänger per Beschluss das Kleidergeld senkt oder Wohnungsgröße und Mietzuschuss reduziert, dann ist das sozial- und verfassungsrechtlich fragwürdig. Nach Reduzierung der förderungsfähigen Wohnungsgröße hatten in Magdeburg wie Hamburg alleinerziehende Sozialhilfeempfänger nicht mehr die Möglichkeit, die standardisierten 3-Raum-Wohnungen der DDR oder des sozialen Wohnungsbaus zu beziehen.

Da nun entweder ein Haushaltsmitglied auf sein eigenes Zimmer oder beide auf ein Gemeinschaftszimmer verzichten mussten, wurde aus Kostengründen pauschal in Lebens- und Sozialisationsbedingungen eingegriffen. Ein solcher Eingriff, ohne die individuellen Auswirkungen zu prüfen, ist mit dem Einzelfallprinzip kaum zu vereinbaren; ähnlich verhält es sich mit der Reformierung der öffentlichen Erziehung in Hamburg (s.o.). Die Reform generell unter Vorbehalt der Kostenneutralität zu stellen, ohne die pädagogischen Bedarfe zu berücksichtigen, war rechtlich zweifelhaft.

Zur Klärung rechtlicher Normen bedarf es immer eines Klägers. Wo aber kein Kläger ist, ist auch kein Schuldiger: Da unsere Klienten Rechtsfehler regelhaft nicht bemerken oder ihnen Mut und Fähigkeit fehlen, ihr Recht prüfen zu lassen, kann sich die Rechtsanwendung oft und über lange Zeit in rechtlichen Graubereichen bewegen. Um Rechtssicherheit herzustellen, müssen wir also v.a. unser Klientel informieren, ermutigen und ihm den Rücken stärken, den Rechtsweg zu suchen, um möglichst ein letztinstanzliches -die Verwaltung bindendes- Grundsatzurteil zu erwirken..



Das Subsidiaritätsprinzip:

In §1 SGBI wird darauf hingewiesen, dass die Adressaten der Sozialen Arbeit ihr menschenwürdiges Dasein möglichst auch durch eine frei gewählt Erwerbsarbeit und besonders durch Hilfe zur Selbsthilfe sichern sollen. In §2 BSHG ist die Vorrangigkeit der Selbstverantwortung der einzelnen Menschen für ihre Lebensbewältigung und in §6 GG i.V.m. §1 KJHG die Vorrangigkeit der Verantwortung der Eltern, für die Erziehung ihrer Kinder festgeschrieben. Im Sozialrecht sind also generell Hierarchien der Verantwortung festgelegt:

Der Begriff der Subsidiarität oder Nachrangigkeit sozialstaatlicher Eingriffe wird in den letzten beiden Jahrzehnten systematisch seiner sozialpolitischen und pädagogischen Sinnhaftigkeit beraubt, ökonomisch umdefiniert und als Argument für Kostensenkungen im gesamten Sozialbereich missbraucht:

Linken Theoretikern wie Praktikern der Sozialen Arbeit war es bisher wichtig, Menschen vor Eingriffen des Staates in deren Selbstbestimmungsrecht zu schützen, zunächst unabhängig davon, ob dies helfend oder repressiv geschah. Dies war zum einen der Erfahrung des staatlichen Zugriffs des NS geschuldet, zum anderen aber auch der ,Befriedung durch den Klassenkompromiss': Man sprach auch von dem ,autoritären Sozialstaat', der mittels aufgedrängter Hilfen zur Stabilisierung des kapitalistischen Systems beiträgt und die Ausbeutung der abhängig beschäftigten Menschen absichert. Wegen des starken Einflusses, den sich der Staat durch seine Sozialpolitik auf die Menschen sichert, galt der Sozialstaat als ,autoritär' und der Sozialarbeiter als ,Sozialstaatspolizei'. Man muss diese politische Fundamentalkritik nicht teilen. Auch aus pädagogischen und psychologischen Gründen ist es sinnvoll, soweit wie möglich die Selbstverantwortung für die eigene Lebensbewältigung im Mittelpunkt stehen zu lassen. Autonomie ist ein zentraler Aspekt von Lebensqualität. Die Erfahrung, das Wissen und die Sicherheit, sein Leben inklusive punktueller Rückschläge eigenständig bewältigen zu können und finanziell unabhängig zu sein,

Setzt man jedoch die Grenze der Selbstverantwortung nicht im pädagogisch-psychologischen Sinn, sondern im ökonomischen, dann werden soziale Kontakte einer ökonomischen Verwertungslogik unterworfen und Existenzängste latent. Letztendlich werden dadurch individuelle wie externe Ressourcen zerstört; ,Hilfe zur Selbsthilfe' wird durch die ,Pflicht zur Selbsthilfe' ersetzt; die gesetzlich verankerte Orientierung am Bedarf des Individuums wird verworfen. Damit wird die originäre Zielrichtung der Sozialgesetze, letztendlich die Menschenwürde abzusichern, unter Finanzierungsvorbehalt gestellt und negiert. Selbstverantwortung ist kein Grund mehr, Menschen vor staatlichem Zugriff schützen zu müssen, sondern ein staatlicher Vorwand, sich der Nachfrage um Hilfe zu verweigern. Damit ist ein weiteres Prinzip Sozialer Arbeit betroffen:

Das ,Bedarfsdeckungsprinzip':

Orientieren sich die Sozialgesetze an der Menschenwürde macht der Begriff deutlich, dass es dabei nicht nur darum geht, Verhungern, Erfrieren oder vorzeitiges Sterben zu verhindern, sondern dass es -wie z.B. in §12 BSHG ausgeführt- um die Sicherstellung eines sog. ,soziokulturellen Existenzminimums' geht. In Abgrenzung zum physischen Existenzminimum geht es also um Würde und nicht ums Sterben. Da gem. §3 BSHG die Lebenslage des Einzelfalls berücksichtigt werden soll ist es schlüssig; dass besonders benachteiligten Menschen auch ein Anspruch auf besonders intensivere Hilfe zuerkannt wird. Besondere Hilfen werden bsp angeboten für besonders benachteiligte Jugendliche (§13 KJHG), behinderte Menschen (39ff BSHG) oder solche ,mit besonderen sozialen Schwierigkeiten' (§72 BSHG)'. Drogenabhängige Menschen haben es eben besonders schwer, Arbeit zu finden und behinderte Menschen brauchen aufwendigere Hilfen, um am ,kulturellen Leben teilnehmen zu können'.Die Hilfen haben sich am individuellen Hilfebedarf zu orientieren, müssen bei steigender Beeinträchtigung angepasst und dann auch finanziert werden. Letztendlich auf die Dominanz der verfassungsrechtlichen Grundrechte zurückgeführt, schreibt das Gesetz idealtypisch eine klare Wirkungsrichtung vor:

Die Realisierung von Bedarfen sieht im heutigen Sozialstaates jedoch anders aus:

Wenn heute in der Diskussion um die Zukunft des Sozialstaats gefordert wird, die Selbstständigkeit und -verantwortung wieder zu stärken, handelt es sich allein um ökonomische Überlegungen zu Lasten unserer Klienten, denen man mit moralisch-pädagogischen Argumenten kaum widersprechen kann. Wer sich heute noch in seinem sozialpolitischem Engagement zurückhält, weil er seine Klientel nicht durch ,Stellvertreterpolitik' entmündigen möchte; stattdessen lieber ,dort stehen (bleibt) wo der Klient steht', handelt verantwortungslos...

Hilfreich hinsichtlich einer Beteiligung der Sozialen Arbeit an der Diskussion über ihre Zukunft wäre, die verfassungsrechtlichen Widersprüche zwischen Rechtstheorie und Rechtsanwendung herauszuarbeiten und zu problematisieren. Die öffentliche Resonanz ist sicherlich größer wenn engagierte Rechtswissenschaftler dies täten; als juristischer Laie möchte ich trotzdem einige Anhaltpunkte herausstellen, die meine Arbeit erschwert haben und widersprüchlich erscheinen ließen:

Bisher wurde wie selbstverständlich davon ausgegangen, dass jedem klar wäre, was unter ,Bedarf' zu verstehen sei. Als sog. unbestimmter Rechtsbegriff erklärt das Wort relativ wenig. Oft werden andere Begriffe ergänzt, die ebenfalls Klarheit vermissen lassen: ,Menschenwürde', ,soziale Gerechtigkeit', ,soziale Sicherheit', ,frei Entfaltung der Persönlichkeit' oder "in vertretbarem Umfang Beziehungen zur Umwelt und eine Teilnahme am kulturellem Leben" sichern.I.S. der Systematik von Sozialpolitik, -recht und -verwaltung kann man eine 100%ige Klärung über die unbestimmten Rechtsbegriffe erst mit einem Bundesgerichtsurteil über einen konkreten Einzelfall erreichen. Dies ist jedoch der Sonder- und nicht der Regelfall und erst im Konfliktfall von Nöten:

unstrittig ist,

strittig ist,

unstrittig ist,

strittig ist,

unstrittig ist,

strittig ist,

Es wird deutlich, dass die Fälle sehr komplex werden und die Pflicht zur Würdigung des Einzelfalls durchaus verschiedene Schlüsse zulässt. Als Faustregel kann man sagen, dass sich die Lebenslagen der Klienten an der üblichen Lebensweise unterer Einkommensgruppen orientieren sollen. Bezogen auf einmalige Anschaffungen spielt zudem der Verbreitungsgrad in der Gesamtbevölkerung eine entscheidende Rolle:<ref>Laut STABU 2002 hatten 2001 von 100 Haushalten 96,4 ein Telefon, 77,7 ein Fahrrad, 95,9 einen Fernseher, eine 62,9 Hi-Fi-Anlage, 47,3 einen Computer, 29,8 ein Handy</ref> Solange nur 30% aller Haushalte einen Fernseher hatten, konnte man kaum von menschenunwürdiger Diskriminierung sprechen, bei einer Verbreitung von über 96% kann aber ein Bedarf angenommen werden. Angesichts der heutigen Verbreitung von Telefon, PC, Internet oder Tageszeitungen muss vor dem Hintergrund der Informations- und v.a. Bildungsfunktion, sowie der Pflege sozialer Kontakte der Bedarf geprüft werden!

Das Abstandsgebot:

Bezogen auf allgemeine soziale Leistungen greift das sog. ,Abstandsgebot'. Es soll dafür Sorge tragen, dass Empfänger sozialer Hilfen gegenüber armen Arbeitnehmern nicht immateriell und v.a. materiell übervorteilt werden. Dies Abstandsgebot hat nun aber zwei Seiten; die untere Seite ist durch das ,sozio-kulturelle Existenzminimum zumindest theoretisch festgelegt und somit statisch. Dies Gebot kann deshalb logischerweise nur nach oben, d.h. durch Anhebung unterer Lohngruppen sichergestellt werden. In der Praxis wird heute jedoch zunehmend das zugesicherte Existenzminimum außer Acht gelassen. An die -angesichts der Massenarbeitslosigkeit- sinkenden Nettolöhne gekoppelt und somit weiter nach unten gedrückt wird die Sozialhilfe statistisch unter das Existenzminimum und unter die Armutsgrenze heruntergerechnet. Das sog. ,Statistikmodell' löste 1989 das sog. ,Warenkorbmodel' ab. Dieser Warenkorb wurde zuvor oft belächelt, weil er den monatlichen Bedarf genau festlegte auf das Gramm Butter, das Stück Seife, die Rolle Toilettepapier, die halbe Kinokarte, die Anzahl der Fahrten im Öffentlichen Nahverkehr und sogar die anteilige Reparaturen von 1/10 Schuhsole.War dieser Bedarf einmal festgelegt, konnte man prinzipiell alles exemplarisch zusammenkaufen und hatte den BSHG-Bedarf. Das hatte entscheidende Vorteile:

Wie um Bedarfe in Ämtern und Gerichten gefeilscht werden und wie wenig fachliche pädagogische, psychologische oder soziologische Argumente Berücksichtigung finden, bzw. wie die finanziellen Interessen der Verwaltung zwischen den Zeilen herauszulesend sind, erläutern einige Zitate:



In diesen Auseinandersetzung spielt es keine Rolle, ob das Bundesgesundheitsministerium zugleich die suchtpräventive und allgemein gesundheitspräventive bzw. das Bundesinnenministerium die kriminalpräventive Wirkung von Vereinssport preisen, ob Kinder traumatisiert werden können, wenn sie von den Gruppenaktivitäten im Verein oder mit dem Fahrrad ausgeschlossen sind; es scheint unwahrscheinlich, dass die Freunde aus Solidarität auch wandern oder zu Fuß gehen, statt mit dem Fahrrad zu fahren oder den Fußball im Verein zu spielen. Als Sozialpädagogen müssen wir darüber hinaus reflektieren, welch pädagogische Bedeutung ein Fahrrad oder ein Fußball mittelbar und unmittelbar haben. Soziale Kompetenzen, kulturelle Kompetenzen, Identität, Autonomie.Vielleicht braucht eine Kind nicht unbedingt den Fußball bei 21 Mitspielern; aber mit gleicher Argumentation wird stereotyp auch der Volleyball, Basketball, Handball.abgelehnt; die Erfahrung auch mal eine wichtige Rolle in der Peer-group zu spielen -den Ball zu haben- wird generell vereitelt; die Wahrscheinlichkeit für psycho-somatische Erkrankungen steigt.Soziale Kompetenz muss geprobt werden; Fahrräder ermöglichen Kontakte über größere Distanzen, Kognitionspsychologen weisen auf die Bedeutung für die Intelligenz und Sprachentwicklung hin, in konzentrischen Kreisen ausgehen vom eigenen Körper, selbst das Lebensumfeld erschließen zu können...

"Dass sich arme Kinder weniger leisten können als Kinder aus durchschnittlich alimentierten Familien, ist heute deshalb problematisch, weil sich Kinder- und Jugendkultur vor allem über ein dynamisches Konsumverhalten symbolisiert. Kinder stehen früh im Mithaltestress. Das äußert sich nirgendwo deutlicher als in der Schule wo solche differentiellen Situationen entstehen"(Böhnisch&Arnold&Schröer 1999: 159).




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