Zukunft Sozialer Arbeit - allgemeine und moralische Aspekte

Wenn die Soziale Arbeit heute mehr verspricht, als sie unter den derzeit widrigen Rahmenbedingungen einlösen kann, erweist sie sich letztendlich einen Bärendienst, verspielt sie doch mit jedem neuen Scheitern weitere Glaubwürdigkeit.



Wenn bsp.

dann greift die Soziale Arbeit nach Aufgaben oder lässt sich Aufgaben zuschreiben, die nicht ihre sind, für die sie nicht verantwortlich ist, für deren Lösung sie nicht über die nötigen Ressourcen verfügt, an denen sie scheitern wird. Versuche, sich gegenüber Politik und Verwaltung dadurch Profil zu verschaffen, dass man Machbarkeiten suggeriert, die nicht zu erfüllen sind, überfordern Mitarbeiter wie Klient gleichermaßen; sie sind zu unterlassen! Wenn von der Sozialen Arbeit erwartet wird, gesellschaftliche Integration und sozialen Frieden zu gewährleisten, dann kann sie diese Aufgabe nur übernehmen, wenn ihr gleichzeitig auch die Definitionsgewalt darüber zugestanden wird, welche gesellschaftlichen Rahmen- und sozialpädagogische Arbeitsbedingungen erforderlich sind; das kann logischerweise auch mal ein Perlhuhn, ein Skatkurs, oder eine Segelreise sein...! Wir können nicht zaubern; wir sollten daher auch nicht so tun als ob. Ggf. muss die Verantwortung für die Lösung sozialer Probleme öfter dort belassen, wo sie verursacht werden; in der Sozial- und Wirtschaftspolitik bzw. -administration.Möller (1994: 251f, vgl. Ebbe&Friese 1989: 171ff) begründet eine pragmatische Zurückhaltung der Sozialen Arbeit i.d.Z. wie folgt:

"Unerfüllt gebliebene Zielkataloge führen letztendlich zu einer Delegitimation entsprechender Arbeit und darüber hinaus womöglich zur Delegitimation einer ganzen Zunft. Wo soziale und pädagogische Jugendarbeit dem Machbarkeitswahn verfällt, ist sie mitverantwortlich dafür, dass Initiativen auf anderen Feldern unterbleiben und sich dort Ursachengeflechte weiter verdichten (...) Indem Jugendarbeit sich als wohlfeile Ausfallbürgin für die legitimationsgeplagte Politik andient, duldet sie die öffentliche Blickverengung in Gestalt der Debatte um Gewalt als Jugendproblem. Sie zieht damit Handlungsdruck von nicht minder wichtigen Feldern wie Politik, Gemeinwesenarbeit, Erwachsenenarbeit und Familienbildung ab."

Möllers Aufsatz gibt eine Vorstellung davon, wie wichtig es ist, sozialpädagogische Ziel realistisch im Bezug auf die gesellschaftlichen Rahmenbedingungen zu formulieren und eine Grenze zu markieren, über die hinaus, Ziele außerhalb sozialpädagogischer Machbarkeit liegen und deshalb gesellschaftlicher Veränderung bedürfen. Einige weitere Passagen können illustrieren, wie wichtig es ist, vor dem Hintergrund des gesellschaftlichen Kontextes Sozialer Arbeit, sich und anderen nicht zu viel zu versprechen. Unkommentiert können einige seiner weiteren Ausführungen Möllers für sich sprechen (1994: 245, 251ff, 262):

Ausbildungsstätten, Träger und Mitarbeitern der Sozialen Arbeit stehen mit dem Rücken zur Wand und dort unter dem enormen Erwartungsdruck, mit sinkenden Ressourcen quantitativ wie qualitativ steigende Probleme zu lösen. Der spontane Eindruck, dies sei nicht lösbar, ist richtig. Um so überraschender ist, dass die meisten Akteure der Sozialen Arbeit dennoch auf allen Ebenen nach Lösungen suchen, die Erwartungen unter dem Diktat von Kostenneutralität oder sogar -senkung zu erfüllen:

All dies kann punktuell sicherlich Arbeit und Arbeitsfreude optimieren, Burnout heilen oder lindern, Atempausen im Konkurrenzkampf mit anderen Trägern verschaffen oder das Image der Sozialen Arbeit graduell verbessern; den Flurschaden kapitalistischer Verwertungslogik unter der Prämisse der Kostenneutralität jedoch wirklich zu lösen, ist sicherlich nicht möglich. Soziale Probleme oberflächlich zu mediieren statt ursächlich zu lösen, soziale Desintegration an runden Tischen kleinzureden statt Lebenslagen zu verbessern oder sich im Rahmen von Anti-Gewalt-Training bzw. der abstinenzorientierten Drogentherapien (s.o.) sogar an repressiven Interventionsformen zu beteiligen, welche heute die helfenden Formen zunehmend wieder ersetzen, scheint zwar erfolgreich, kann dann aber kaum noch Soziale Arbeit genannt werden! Wenn die Bedarfe des Klientels hinter jenen der Sozialpädagogen, der Träger und der Gesellschaft in den Hintergrund treten, sich seine Lebenslage durch unsere Intervention nicht mehr verbessert und seine Persönlichkeitsrechte beschnitten werden, dann riskiert Soziale Arbeit ihre professionelle Legitimation; sie emanzipiert sich dann im wahrsten Sinne des Wortes von ihrem Klientel. Mögliche Optimierungsgewinne innerhalb der Sozialen Arbeit sollen nicht prinzipiell geleugnet werden; unter den bestehenden gesellschaftlichen Rahmenbedingungen bleiben sie aber solange Kosmetik, wie es keinen neuen Gesellschaftsvertrag gibt. In einem solchen Vertrag wäre u.a. zu klären:

Diese Fragen sind -leicht erkennbar- keine sozialpädagogischen. Sozialpädagogische Fragen lassen sich sinnvollerweise erst klären, wenn Einvernehmen darüber besteht, dass ein Sozialstaat überhaupt noch gewollt ist und dass dessen Niveau dann auch ein menschenwürdiges Leben gewährleistet. Wenn 'Reformen' heute darin gesehen werden, grundlegende soziale Errungenschaften wieder zur Disposition zu stellen und damit die Sozialstaatsdebatte auf den Stand des ausgehenden 19 Jahrhunderts zurück zu werfen, dann bleibt den Akteuren der Sozialen Arbeit nichts anderes übrig, als ihre sozialpädagogischenFragen so lange zu verschieben bis die sozialpolitischenzufriedenstellend beantwortet sind. Politisierung statt 'Therapeutisierung', 'Pädagogisierung', 'Psychologisierung' oder 'Individualisierung'...! Mit dem sozialpolitischen Engagement darf angesichts des massiven wie rasanten Sozialabbaus nicht mehr gewartet werden, bis das Klientel ein entsprechendes Bewusstsein entwickelt hat und selbst den Auftrag erteilt. Vor Stellvertreterpolitik ist daher nicht mehr zu warnen; sie ist stattdessen einzufordern! Stellvertreterpolitik ist nicht mit Entmündigung der Klienten zu verwechseln; diese fängt erst dort an, wo sich die Klienten auch selber helfen könnten. Z.B. die 'Agenda 2010' stellt aber eine derartige fundamentale Bedrohung sozialer Grundrechte dar, dass unsere Klienten wenig Chancen haben, ihre Interessen allein umzusetzen und daher auch stellvertretender Unterstützung bedürfen.

"Obwohl natürlich kein 'Aufstand der Armen und Arbeitslosen' zu erwarten ist bedarf es neben sachkundiger Beratung und sozialpädagogischer Betreuung einer Rückbesinnung der Sozialen Arbeit auf Konzepte der späten 60er Jahre, die vorübergehend zu Unrecht in Vergessenheit geraten waren. Nach einer längeren 'Therapeutisierung', 'Psychologisierung' und 'Pädagogisierung' der Sozialen Arbeit wären eine neuerliche Politisierung und eine dementsprechende Qualifizierung jener Personen nötig, die sie unter erschwerten Bedingungen zu leisten haben. Eine klientenzentrierte-kurative Sozialarbeit ohne gesellschaftspolitische Perspektive ist dem vom Weltmarkt ausgehenden Konkurrenzdruck hilflos ausgeliefert. Gerade weil der Individualisierungsprozess persönliche Schuldzuschreibungen an die Betroffenen -Arbeitslose, Arme, Obdachlose, Drogenabhängige, Aidskranke...- begünstigt und strukturelle Zusammenhänge verdunkelt, muss eine übergreifende Sichtweise gefordert und gefördert werden. Sozial- und politikwissenschaftliche Erklärungsmethoden verdienen angesichts um sich greifender Theoriefeindlichkeit und 'Politikverdrossenheit' mehr Beachtung. Mehr als drei Jahrzehnte nach der legendären Studentenrevolte wird es Zeit für ein 'neues '68', für eine zweite Reformoffensive, die Gesellschaftspolitik auch jenseits parlamentarischer Willensbildungs- und Entscheidungsprozesse betreibt, das Sozialstaatspostulat des GG einzulösen sucht und weder vor herrschenden Autoritäten noch bestehenden Machtverhältnissen viel Respekt zeigt" (Butterwegge 1999: 200f).

Werden der Sozialstaat abgebaut und soziale Grundrechte zur Disposition gestellt, wackelt auch das demokratische Fundament der Gesellschaft. Christoph Butterwegge (1999: 155ff) beschreibt diesen Zusammenhang anhand verschiedener Quellen; zusammenhängend soll hier ein Ausschnitt dokumentiert werden:

"Mit dem Sozialstaat stirbt die Demokratie

Neoliberalismus, Standortnationalismus und Rechtsextremismus bilden eine Gefahr für den Sozialstaat. Die neoliberale Hegemonie, wie sie der Diskurs über den ökonomischen Globalisierungsprozess und eine geeignete Strategie zur Sicherung des 'Industriestandortes' erkennen lässt, bedroht jedoch nicht nur den Wohlfahrtsstaat, sondern auch die deutsche Nachkriegsdemokratie, was mit deren sehr enger Bindung an das sog. Wirtschaftswunder, ökonomische Prosperität und persönliche Sicherheit zu tun hat. Martin Greiffenhagen hebt deshalb zu Recht den hohen Stellenwert der sozialen Sicherheit für die politische Legitimität im vereinten Deutschland hervor. Demokratie und Sozialstaat gehören eng zusammen, denn die erstere kann, wie Jan Roß in seinem Essay 'Die neuen Staatsfeinde' zu Recht bemerkt, nicht ohne ein Mindestmaß innerer Homogenität existieren: 'Sie bedeutet zwar nur politische, nicht gesellschaftliche Gleichheit, aber ein Übermaß an gesellschaftlicher Ungleichheit macht auch die politische Gleichheit unmöglich, weil Menschen, die in ihren Lebensverhältnissen und Interessen zu verschieden sind, als Staatsbürger nicht gleich sein können.'

Elmar Altvater und Birgit Mahnkopf weisen gleichfalls auf diesen Zusammenhang hin: 'Der Sozialstaat ist der materiale Unterbau der formalen Demokratie. Ohne seine Funktionsfähigkeit erodieren mit der Identität des Staatsbürgers / der Staatsbürgerin die Institutionen, in denen staatsbürgerliche Beteiligungsrechte ausgeübt werden können.' Schließlich sei Robert Misik zitiert, der den Weltmarkt für einen Mythos hält: 'Wo die politische Ökonomie zur unpolitischen Ökonomie verkommt, wo Staat und Politik nichts, die globalen Märkte aber alles gelten, da drohen nicht bloß die Menschen und die Wohlstandsgesellschaften auf der Strecke zu bleiben, da gerät mit dem Angriff auf die Sphäre der Politik auch die Demokratie in Gefahr.' Entsolidarisierung greift verstärkt um sich, wenn 'Modernisierungs-' 'Individualisierungs-' bzw. 'Globalisierungsverlierer/innen' nicht mehr integriert werden. Die gesellschaftlichen Kern- bzw. Randschichten konstituieren separate Lebenswelten, z.T. eigene soziokulturelle Milieus und Gemeinschaften, was sich in ökonomischen Krisen- und Umbruchphasen besonders leicht ausnutzen, i.S. einer Stigmatisierung, Kriminalisierung und Diskriminierung von ethnischen Minderheiten politisch aufladen lässt. (...). Mit der Rücknahme sozialer Errungenschaften, wie sie die Bundesrepublik Deutschland seit einem Vierteljahrhundert erlebt, ist regelmäßig die Einschränkung politischer Grundrechte verbunden.



Dass sich diese Art der Regression zuerst im Sozialhilfebereich manifestiert, wo die Rechtsposition der Leistungsbezieher/innen am schwächsten und ihre Konfliktfähigkeit schon deshalb am geringsten ist, liegt nahe. Wie rasant und subtil zugleich der Abbau von Bürgerrechten bei den Beziehern von Sozialleistungen erfolgte, zeigt Christa Sonnenfeld: 'Durch kontinuierliche Gesetzesverschärfungen und einschränkende Richtlinien bzw. Runderlasse der Behörden, welche die Kontrollmöglichkeiten, Disziplinierung und Zwang erhöhten, wurden Leistungsempfänger/innen an der freien Entfaltung ihrer Persönlichkeit ebenso gehindert wie durch die Sachbearbeiter/innen der Sozialverwaltungen, deren Ermessensspielräume und Möglichkeiten zum Machtmissbrauch sich erheblich vergrößerten.' In einer Gesellschaft, die den Leistungswillen, die Konkurrenzfähigkeit und das Karrierebewusstsein hypostasiert, finden demokratische Willensbildungs- und Entscheidungsprozesse entweder gar nicht mehr statt, weil sie dysfunktional wirken würden, oder beschränken sich auf die Akklamation für jene politischen Kräfte, die den Wettbewerb am effektivsten organisieren, Hans-Gerd Jaschke begreift den Marktradikalismus als einen 'Fundamentalismus der Mitte', welcher die Demokratie bedroht: 'Das Vertrauen auf den Markt als Regulationsinstanz zur Lösung wirtschaftlicher und sozialer Probleme hat sich in den zurückliegenden Jahren radikalisiert.

Die Interessenverbände der Wirtschaft sind zu unbeirrbaren Propheten einer Religion geworden, die den Markt als obersten Wert verklärt und deren Anhänger sich nicht scheuen, als Prediger durch die Lande zu ziehen.' Marktfundamentalismus ist Demokratiefeindschaft, gerade dann, wenn er im Gewand einer unpolitischen Wirtschaftsphilosophie daherkommt. Die deutsche (Sozial-) Politik, scheint es, dankt zugunsten der globalisierten Ökonomie ab, wenn sie nicht -gemeinsam mit anderen Ländern- konsequent umsteuert und die Fäden rasch wieder selbst in die Hand nimmt. 'Falls die Staaten den internationalen Handel weiterhin liberalisieren, ohne ihm Regeln zu geben, engen sie ihren Handlungsspielraum weiter ein. Demokratie wird mehr und mehr zur Farce. In dem Maße, in dem der internationale Markt die Entscheidungen bestimmt, ist es egal, wer regiert.' Mit dem Sozialstaat stirbt die Demokratie, weil sie nicht zuletzt auf seinem Schutz der Bürgerinnen vor den allgemeinen Lebensrisiken wie Krankheil, Invalidität, Arbeitslosigkeit oder Unterversorgung im Alter beruht. 'Die individuellen und politischen Grundrechte sind von den sozialen Bürgerrechten als Basis der modernen Massendemokratien nicht zu trennen.

Wenn es in der Bundesrepublik bisher weitgehend gelungen ist, trotz der Wirtschaftskrisen den sozialen Frieden zu erhalten und das Aufkommen antidemokratischer Massenbewegungen zu verhindern, so ist das in erster Linie auf den im Kern intakt gebliebenen Sozialstaat zurückzuführen.' Diese optimistische Einschätzung ist aber wegen unübersehbarer Erosionserscheinungen des Sozialstaates stark zu relativieren. So weist Benno Hafeneger auf die günstigen Bedingungen für den organisierten Rechtsextremismus hin: 'Es besteht die aktuelle Gefahr, dass vor dem Hintergrund eines sich ungezügelt globalisierenden Kapitalismus und der Auflösung des Integrationsmodus, Erwerbsarbeit, Wohlstand und Demokratie' immer mehr Menschen in einen Abstiegsstrudel mit ausgrenzenden Folgen geraten; sie können ihm bei noch soviel Anstrengungen nicht entgehen.' (...) Wie bereits konstatiert wurde, sind die ideologischen Übergänge zwischen dem Neoliberalismus und dem modernen Rechtsextremismus fließend, wobei Sozialdarwinismus und Standortnationalismus die wesentlichen Bindeglieder darstellen. Mit seiner Niedriglohnstrategie.bereitet der Neoliberalismus jedoch auch materiell den Nährboden für Rechtsextremismus, Rassismus und Gewalt."

"Wenn Individuen von wesentlichen Teilhabemöglichkeiten abgeschnitten werden, stellt dies zugleich den Geltungsbereich und die sozialen Grundlagen der Demokratie in Frage" (Kronauer 2002: 227).

Bedenkt man, dass an Stammtischen und in Massenmedien generell, sowie in der Sozialdemokratie zunehmend, der Sozialabbau gepredigt und die Interpretation geteilt wird, Hilfeempfänger wären zu großen Teilen verwöhnt, faul und arbeitsscheu, müssten eigentlich direkt zur Arbeit verpflichtet werden und haben die strukturelle Arbeitslosigkeit von mehreren Millionen Menschen zu verantworten, kann man sich leicht vom sozialpolitischen Engagement abschrecken lassen. Angesichts fehlender Alternative, führt jedoch kein Weg daran vorbei, 'gegen diesen starken Strom zu schwimmen' und sich angemessen an der (sozial-) politischenDebatte zu beteiligen. Verschiedene Argumentationsstränge bzw. Fragmente eines sozialpolitischen Selbstverständnisses können i.d.Z. identifiziert und bemüht werden; sie knüpfen an zahlreichen der bisherigen Ausführungen an. Ich will sie hier skizzieren: Tatjana Fuchs (2000: 403f) soll eine erste theoretische Vorlage für ein sozialpolitisches Engagement geben:

"Mit der Funktionsfähigkeit des Sozialstaats stellt sich auch die Frage, wieviel soziale Ungleichheit eine zivilisierte Gesellschaft vertragen kann, ohne ihre Produktivität, ihren sozialen Zusammenhang und ihre demokratische Legitimation zu verlieren. Der Sozialstaat ist kein Almosen, keine karitative Einrichtung, sondern der Preis der Unternehmer für ein geregeltes Arbeitsleben in Betrieben und die Kooperationsbereitschaft der Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen. Das Versprechen des Wohlfahrtsstaates, jedem eine würdige Lebensführung und eine akzeptable Beteiligung am gesellschaftlichen Reichtum zu garantieren, war nicht nur ein sozialer Fortschritt. Dieses Versprechen zog auch eine ungeheure Steigerung der Arbeitsproduktivität nach sich, motivierte zu Bildung und zur Entwicklung der eigenen Anlagen und schuf letztlich eine Aufbruchsstimmung, weil sich reale Chancen für den sozialen Aufstieg ergaben. Gesellschaftliche Gleichgültigkeit, wie sie durch den Rückzug der Einkommensstarken aus der Finanzierung des Gemeinwesens dokumentiert wird, zerstört diese Grundlagen.

Wenn sich Einkommensmillionäre und Konzerne in den Medien öffentlich brüsten, auch in den folgenden Jahren keine Steuern mehr zu zahlen, hat dies auch Implikationen für den Rechtsstaat: Das geschriebene Recht eines Staates verdankt seine Autorität weniger der Staatsgewalt als der Einsicht seiner Bürger und Bürgerinnen, dass es einen engen Zusammenhang zwischen ihrer Bereitschaft zur Rechtstreue und der staatlich garantierten Gerechtigkeit gibt. Das gilt auch für die soziale Gerechtigkeit. Wenn weiterhin die Verantwortungslosigkeit des Reichtums gegenüber der Allgemeinheit zur Tugend erhoben wird, stellt dies langfristig die gesellschaftliche Verantwortung des Einzelnen in Frage. Es ist unmöglich, den Abbau von sozialen Bürgerrechten als Reform und den Abbau von öffentlicher Verantwortung als Modernisierung zu verkaufen, ohne diese Verhaltensweise zur allgemeinen Praxis zu machen. Eine solche Verallgemeinerung bedeutet aber, dass es den Jüngeren nicht mehr einsichtig sein wird, für die Renten der Älteren zu arbeiten, ebenso wenig wird es den noch Arbeitenden einsichtig sein, für ihre arbeitslosen Kollegen zu zahlen oder Flüchtlinge aufzunehmen.

Wenn der soziale Ausgleich zwischen arm und reich nicht mehr als sozialpolitisch handlungsleitend gesehen wird, verändert dies langfristig weite Bereiche der politischen Ebene: Es gibt dann weder eine Rechtfertigung für den Länderfinanzausgleich noch für den Risikostrukturausgleich unterschiedlich belasteter Sozialkassen. Wenn dieser Entwicklung nicht verteilungspolitisch Einhalt geboten wird und sich Geldvermögen ungehindert seiner Sozialpflichtigkeit entziehen kann, erodiert dies langfristig auch den sozialen Zusammenhalt einer Gesellschaft. Sozialpolitik ist mehr denn je eng verknüpft mit volkswirtschaftlichen Verteilungsfragen. Konzepte zur Bekämpfung von Armut und Arbeitslosigkeit.müssen sich auch mit dem existierenden Reichtum in unserem Land beschäftigen. Letztlich muss die Verteilung diese Reichtums als wesentliche Basis für Sozialpolitik verstanden werden..."

Argumentationsstränge gegen den Sozialabbau:

Sie können moralisch, historisch, politisch, rechtlich und ökonomisch verankert werden. Es scheint unerlässlich, dass die Soziale Arbeit ihren traditionellen moralischen Horizont erweitert, will sie den ihr gebührenden Stellenwert in der Gesellschaft zurückgewinnen. Sollten moralische Vorstellungen über soziale Gerechtigkeit auch dem sozialpolitischen Engagement motivierend zugrunde liegen und sind moralische Argumente zudem so richtig wie wichtig, haben sie doch nur einen geringen Einfluss auf die Diskussion um die Zukunft des Sozialen. Habermas (1981) Hoffnung, Moral und Solidarität könnten an Einfluss gewinnen, ist nur schwer zu teilen; da es voraussichtlich auch weiterhin wenig interessieren wird,

scheint es sinnvoll, die Argumentation mehrdimensional zu entwickeln, während das Engagement weiterhin einseitig moralisch motiviert bleibt. Wenn Sozialabbau neben der moralischen Perspektive also auch aus einer historisch-politischen, einer (verfassungs-) rechtlichen oder einer ökonomischen Perspektive heraus kritisierbar ist, sollte die moralische um diese drei Perspektiven ergänzt werden. Während die historisch-politische Dimension ausführlich dargestellt wird, werden die rechtliche und ökonomische knapper ausfallen und die moralische nur der Form halber angeführt; lässt sich letztere doch aus den bisherigen Ausführungen ableiten:

Der initiierte Kreislauf zwischen sozialem Unfrieden und repressiv-kontrollierenden Reaktionen nimmt allen Menschen Lebensqualität; auch den besser situierten. Zentrale Charakteristika von 'Zivilisation' sind die allgemeine Zusicherung von Menschen- und Grundrechte, sowie die Präferenz sozialpolitisch positiver Integration aller Gesellschaftsmitglieder gegenüber der indirekt negativen Integration von gesellschaftlichen Mehrheiten über die repressive Ausgrenzung benachteiligter gesellschaftlichen Teilgruppen.

Zunächst sollen nun ausführlich die Argumentationsstränge herausgearbeitet werden, die sich aus der Geschichte und Politik ergeben; die Darstellung von ökonomischen, rechtlichen Argumenten wird kürzer ausfallen und weitestgehend auf andere Teile des vorliegenden Buches verweisen. Der manipulativen Bedeutung von Statistik im Rahmen der Rechtfertigung von Sozialabbau soll kein eigenes Kapitel gewidmet werden; BSP sollen stattdessen exkursiv in die weiteren Ausführungen gestreut werden.






Nächstes Kapitel: Zukunft Sozialer Arbeit - historische und politische Aspekte