Zukunft Sozialer Arbeit - oekonomische Aspekte

Die Frage der Finanzierbarkeit stand am Ausgangs- und steht im Mittelpunkt der Debatte um die Zukunft des Sozialstaates. Weitestgehend unwidersprochen wird heute erklärt, die Sozialausgaben würden stetig steigen, seien eine Belastung für die Allgemeinheit und dieser nicht mehr zuzumuten. Weil kein Geld da ist, seien Sozialleistungen radikal zu kürzen, wollen 'wir uns'vor 'Massenarmut' schützen, soll die gesamte Republik nicht in den Ruin getrieben oder aus der internationalen Standortkonkurrenz herausgedrängt werden. Es drohe der 'Kollaps', der 'Bankrott', ein Leben im Elend...



In den plakativen und verängstiegenden Kampagnen gegen den Sozialstaat zeigt sich der Siegeszug der angebotsorientieren Wirtschaftspolitik; seitdem auch die SPD mit ihrer wirtschafts- und sozialpolitischen Tradition gebrochen hat, sind die Interessen von Armen und Arbeitern parlamentarisch wie parteipolitisch faktisch nicht mehr vertreten. Einfluss auf das politische Geschehen muss also zunächst außerparlamentarisch gesucht werden. Neben der moralischen, historisch-politischen und rechtlichen Argumentation, wird im Wesentlichen die ökonomische über den Erfolg eines parteilichen sozialpolitischen Engagements entscheiden; mit der Nachfragepolitik ist die zentrale Argumentationslinie schon vorgestellt worden, die wie ein roter Faden die Debatte um eine sozial gerechte Wirtschaftsordung durchzieht.

So wie wahrscheinlich nur Juristen die rechtlichen Fragen abschließend beantworten können, die seitens der Sozialen Arbeit aufgeworfen wurden, sind es engagierte Wirtschaftswissenschaftler, welche die ökonomischen Fragen der Sozialen Arbeit letztendlich am Besten beantworten können. Ich möchte nun die drei klassischen Argumente genauer betrachten, die den Sozialabbau begründen; von der Trockenheit des Themas oder den vielen Zahlen darf man sich nicht abschrecken lassen:

1. Der Sozialstaat wird immer teurer, überfordert die öffentlichen Haushalte und ist daher nicht mehr finanzierbar.

2. Es ist kein Geld da.

3. Soziale Sicherung ist kostenintensiver unnötiger Ballast, der den internationalen Wettbewerb erschwert und deshalb zum Wohle aller über Bord geworfen werden muss.

1. Der Sozialstaat wird immer teurer, überfordert die öffentlichen Haushalte und ist daher nicht mehr finanzierbar:

Es ist unmöglich mit den zur Zeit zur Verfügung stehenden Finanzmitteln der öffentlichen Haushalte und Sozialversicherungssysteme die sozialrechtlichen Ansprüche zu begleichen; ebenso unstrittig ist, dass es deshalb Reformen bedarf, um die Finanzierung des Sozialstaates wieder zu sichern. Strittig ist allein die Frage, ob

Logischerweise müssen Reformen dort ansetzen, wo die Notlage entsteht; im Kapitel zur neuen Geschichte wurde schon ausgeführt, dass die Ursache der öffentlichen Finanznot auf der Einnahmenseite gefunden wird. Deshalb ist es unlogisch, zur Krisenbewältigung nun die Verteilung von 'unten' nach 'oben' sogar noch zu forcieren, hat doch genau sie seit über 20 Jahren die Krise herbeigeführt. Vor diesem Hintergrund müssen dann auch die Ausgangsfragen modifiziert werden: Es gilt nicht zu fragen ob und warum der Wohlfahrtsstaat in der Krise steckt, sondern

Soziales wird immer teurer:

In der ökonomischen Begründung wird zuerst darzustellen sein, dass die Sozialausgaben im Vergleich zu anderen (europäischen) Ländern gar nicht so hoch sind, in den letzten Jahrzehnten weniger gestiegen sind, als allgemein der Anschein erweckt wird und die internationale Wettbewerbsfähigkeit deshalb auch nicht gefährden. Letzteres kann Scharpf (2000: 16) aufklären:

"Unsere Untersuchung hat jedoch gezeigt, dass dieser Gegensatz (von internationaler Wettbewerbsfähigkeit und Sozialpolitik) auch unter den heutigen Bedingungen kein prinzipieller ist. Es finden sich durchaus Länder -Dänemark, die Niederlande, die Schweiz oder Australien- die auch unter den Bedingungen der Globalisierung ihre beschäftigungs- und sozialpolitischen Errungenschaften verteidigt oder sogar verbessert haben."

Der wichtigste Indikator zur Erfassung der Sozialausgaben ist die sog. Sozialquote. Diese Quote erfasst den Anteil aller Sozialausgaben am Bruttosozialprodukt. Wenn die Sozialquote in den letzten 20 Jahren signifikant gestiegen wäre, könnte diese legitimerweise zur Ursache der Krise von Haushalt und Sozialversicherung erklärt werden; bleibt sie jedoch relativ konstant oder sinkt, muss auch die Ursache woanders als im Sozialstaat gesucht werden. Im Vergleich mit anderen Ländern ist das Sozialniveau in Deutschland nicht besonders hoch; "im Europäischen Leistungsvergleich ist der bundesdeutsche Sozialstaat eher Mittelmaß, also weder zu großzügig noch zu teuer..." (Butterwegge 1999: 22); ob das Sozialniveau in den letzten Jahren innerhalb Deutschlands signifikant gestiegen ist, wird zu klären sein: In den öffentlichen Kampagnen zum Sozialabbau wird oft versucht, die Dramatik steigender Sozialkosten aus der Steigerung der absoluten Ausgaben abzuleiten; dies ist methodisch falsch und daher unzulässig! Zur Analyse der Veränderung innerhalb Deutschlands müssen die absoluten Zuwächse zunächst in Relation zur Entwicklung der Preise (Inflation) und zum Ansteigen des BSP (allgemeine Wohlstands- und Wirtschaftsentwicklung) gestellt werden; erst dann können die Sozialausgaben verglichen werden. So errechnet sich die Sozialquote, die 1999 bei 33,7% lag (vgl. STABU 2002: 193).

"Das 'Sozialbudget weist zwischen 1960 und 1990 einen Anteil aller sozialen Leistungen am Bruttosozialprodukt aus, der bei 30% liegt. (...) Diese Prozentsätze zeigen, dass die Umverteilungseffekte des Sozialstaates geringer sind, als seine Gegner befürchten und seine Befürworter erhoffen."<ref>C.W. Müller zum Stichwort 'Sozialarbeit/Sozialpädagogik' in: Wörterbuch Soziale Arbeit.</ref>

Im Gegensatz zur verbreiteten Polemik sank die Sozialquote kontinuierlich von einem vereinigungsbedingtem Höchststand von 34,9% (1996) auf 34,4% (1997) auf eben 33,7% (1999).<ref>Vgl. 'TAZ' vom 12.2.98; Schumann 1998: 309.</ref> Gerhard Bäcker<ref>16.06.95:15ff: Sind die Grenzen des Sozialstaates überschritten? In: Aus Politik und Zeitgeschichte. </ref> gibt einen Hinweis darauf, dass die Sozialausgaben nach der Wiedervereinigung legitimerweise nur innerhalb der alten Bundesländer miteinander zu vergleichen sind. Die Vereinigungsausgaben stellen "externe Faktoren" dar, die gesondert zu berücksichtigen sind und nicht in die allgemeine Statistik einfließen dürften:

"Von einer allumfassenden Versorgung.ist der Sozialstaat weiter denn je entfernt.So liegt denn auch die Sozialleistungsquote in den alten Bundesländern mit 30,3% deutlich unter dem Durchschnittswert der 80er Jahre. Daraus folgt, dass die aktuellen Finanzprobleme des Staates.eine Folge externer Faktoren sind. (...) Es ist unredlich den 'Sozialstaat' für die hohen Steuer- und Beitragsabzüge verantwortlich zumachen, über die vorgelagerten Probleme aber nicht zu reden."

Als 'externe Faktoren' müssen die Kosten der Wiedervereinigung benannt werden. Diese Kosten sind -entgegen der allgemeinen Zweckbestimmung- zu großen Teilen den sozialen Sicherungssystemen aufgebürdet worden, ohne dass entsprechende Beitragszahlungen der Menschen in der ehemaligen DDR gegenüberstanden/ stehen konnten. Auch die sprunghaft gestiegenen Arbeitslosenzahlen müssen als externe Faktoren eingeordnet werden. Wenn mit der Wiedervereinigung die gesamtdeutsche Sozialquote stieg, ist dies also logisch; dieses Ansteigen kann aber nicht zum quasi naturgemäßem Phänomen sozialer Sicherung erklärt werden:

"Da die Sozialleistungsquote trotz gestiegener Anforderungen durch die Massenarbeitslosigkeit und den 'Aufbau Ost' im vereinten Deutschland zur Jahrtausendwende niedriger war als 1975 in der Altbundesrepublik, liegen die Kardinalprobleme des Wohlfahrtsstaates auf der Einnahmen- und nicht der Ausgabenseite. Geld, um sie zu beseitigen, ist zwar genug da, aber so ungerecht verteilt, dass ein wachsender Teil der Bevölkerung von Armut bedroht ist, wohingegen ein anderer in Saus und Braus lebt" (Butterwegge 1999:162; vgl. Schumann 1998: 309ff).

Bernd Schulte (2000: 36) weist darauf hin,

"dass Deutschland etwa im Vergleich mit Frankreich, den Niederlanden, Schweden und dem vereinigten Königreich auf die sich aus Steuern und Sozialversicherungsbeiträgen zusammengesetzten Abgabenquoten im Zeitraum von 82-90 den größten Rückgang der Abgabenlast zu verzeichnen hatte. Seit 1990 hat es allerdings einen vereinigungsbedingten Anstieg gegeben, den nicht das bestehende System der sozialen Sicherung zu verantworten hat. (...) Die gesamtdeutsche Sozialleistungsquote stieg 1994 (deswegen) auf 30,8%; doch belief sich die westdeutsche Sozialleistungsquote auf lediglich 27,7%"; dies sei im europäischen Vergleich durchschnittlich; auch die gesamtdeutsche Quote liege nur knapp über dem Durchschnitt.

Prof. Dr. Hans Tietmeyer<ref>Der Kuratoriumsvorsitzender der Initiative 'Neue Soziale Marktwirtschaft' am 14.05.2003 in: 'Bild'.</ref> bewertet die Entwicklung der Sozialausgaben anders:

"Sieben bittere Wahrheiten über die Steuer - was die Politiker tun sollten:

1. Unsere Steuer- und Abgabenlast ist zu hoch!

Steuern und die enormen Sozialabgaben zusammengerechnet sind weltweit Spitze. Das ist eine bleischwere Hypothek für unsere Wirtschaft im globalen Wettbewerb.

2. Die hohe Steuer- und Abgabenlast kostet Jobs!

Unternehmen sehen wegen der hohen Abgaben zu wenig Chancen, in neue Jobs zu investieren. Und Arbeitnehmern bleibt vom Brutto zu wenig übrig. Das belastet die Nachfrage und verschlechtert den Absatz.

3. Mehr Steuern und Abgaben = mehr Schwarzarbeit!

Je höher die Sätze, umso mehr versuchen die Menschen, sich dem Zugriff des Staates zu entziehen. Folgen: Die Schwarzarbeit boomt und die höchste Arbeitslosenzahl im April seit Bestehen der Bundesrepublik.

4. Unser Steuersystem ist viel zu kompliziert!

Kein Normalbürger überblickt noch seine Steuererklärung. Wir brauchen einen Befreiungsschlag im Paragraphendickicht. In maximal 20 Minuten sollte ein Arbeitnehmer seine Steuererklärung selbst erledigen können. Das gilt auch für den kleinen Existenzgründer. Er braucht seine Zeit, um Jobs zu schaffen und nicht, um Unterlagen fürs Finanzamt zu wälzen!

5. Unser Steuersystem ist ungerecht!

Der ehrliche Normalverdiener wird bestraft. Denn er hat weder das Geld für Steuersparmodelle, noch für einen teuren Steuerberater, der alle Hintertürchen kennt.

6. Die Bundesregierung darf die Steuerreform nicht schleifen lassen!

Denn wir brauchen ein deutliches Signal, dass bald mehr Geld zur Verfügung steht:

7. Steuererhöhungen sind der falsche Weg!

Ausgaben sparen und einen steuerpolitischen Befreiungsschlag wagen! Nur das bringt die Wirtschaft wieder in Schwung, neue Jobs und neue Staatseinnahmen."



Schummeln mit Statistik:

Wenn die Sozialquote seit 1985 faktisch stagniert und sich zugleich der Kreis von Anspruchsberechtigten massiv ausgeweitet hat, bedeutet dies zudem, dass die Hilfen für den Einzelnen schon ebenso massiv eingeschränkt wurden. Wenn sich trotzdem im kollektiven Bewusstsein der Bevölkerung festsetzt, die Ausgaben und Ansprüche würden steigen, ist dies v.a. auch der bewussten Manipulation mittels Statistik zuzuschreiben, die je nach Belieben

Ein komplexes BSP liefert die Kampagne 'Chancenfüralle': Flankiert von einer eindrucksvollen Internetpräsenz<ref>Chancenfüralle.de; 03.05.03</ref> und getragen u.a. von Bundeswirtschaftsminister Clement, dem ehemalige Bundesbankpräsident Tietmeyer, dem Chef der Bundesanstalt für Arbeit Gerster, dem Institut der Deutschen Wirtschaft, den Arbeitgeberverbänden, sowie zahlreichen Unternehmern und Politikern wird zum Sozialabbau aufrufen. Unter der Überschrift: "Hier ein Überblick über die Sozialausgaben in Deutschland" wird die folgende Tabelle veröffentlicht:

Jahr Sozialquote
1970 25,9 (Deutschland
West)
1980 32,0 (Deutschland
West)
1991 29,8
1999 33,7

Es wird der Eindruck vermittelt, die Sozialausgaben würden -allein zwischen 1980 und 1991 kurzzeitig gestoppt- ununterbrochen steigen. Schon wenn man allein die oben dargestellten Zahlen ergänzt, diese vor dem Hintergrund der jüngeren Geschichte der Bundesrepublik reflektiert und die fehlende Vergleichbarkeit von westdeutschen Zahlen vor und gesamtdeutschen Zahlen nach der Wiedervereinigung feststellt, wird der manipulative Charakter deutlich:

Mit Ergänzungen:
Jahr Sozialquote
(Ganz)
Sozialquote
(West)
1970   25,9
1980   32,0
1991 29,8  
1994 30,8 27,7
1996 34,9  
1997 34,4  
1999 33,7  

Die 29,8% 1991 wurde zwar schon für ganz Deutschland erfasst. Während die Sozialtransfers zu diesem Zeitpunkt -kurz nach der Wiedervereinigung- erst zu geringen Anteilen kostenwirksam geworden sind und sich im Zuge der Massenentlassungen in den neuen Bundesländern erst später niederschlagen, wurde der Anteil der neuen Länder am BSP -als Vergleichsgröße- jedoch sofort voll wirksam. Die Proportion zwischen dadurch sprunghaft gestiegenem BSP und erst schleppend steigenden Sozialausgaben drückte die Sozialquote auf 29,8%. Die nächste Zahl -erst 1999 erhoben- als die Sozialausgaben mit der massenweisen Freisetzung von Arbeitnehmern -v.a. in den neuen Ländern- voll wirksam sind und die Konjunktur zusammengebrochen ist, vermittelt den Eindruck eines riesigen Sprunges.

Der Sparerfolg der CDU-FDP-Regierung (29,8% 1991) -so wird suggeriert- wird von der SPD scheinbar verprasst. Betrachtet man nun die Zahlen von 1994-97, sowie den Wert von 1994 in den alten Bundesländern, lässt sich erkennen, dass die Dynamik der Sozialquote allein aus dem Vereinigungsprozess resultiert. Nun, bis Mitte der 90er Jahre, stiegen die Sozialausgaben in den neuen Ländern mit den dortigen Massenentlassungen und der zweckfremden (Mit-) Finanzierung des 'Aufbau Ost' durch die sozialen Sicherungssysteme sprunghaft. Jedoch hatte der Anstieg schon 1996 seinen Zenit erreicht. Qualitative Einschnitte im Niveau sozialer Sicherung reduzieren schon seit 1996 die gesamtdeutsche Sozialquote; damit ist der Wert von 1999 weit weniger dramatisch und dokumentiert keinen Einblick in den Prozess des Anstiegs, sondern -ganz im Gegenteil- in den Prozess des Abbaus von Sozialausgaben...

Diese Art von statistischer Manipulation ist symptomatisch für Kampagnen gegen den Sozialstaat. Der analytische Nutzen von Statistik und Graphiken ergibt sich immer erst aus der Anzahl von Parametern, die miteinander in Beziehung gesetzt werden können. Werden einzelne Parameter vorenthalten, liegt der Verdacht von Manipulation nahe; werden einige Parameter (wie am folgenden BSP) ergänzt bzw. präzisiert, kann die Dramatik eines gesellschaftspolitischen Sachverhalts ggf. viel deutlicher offenbart werden. Wenn man die folgende Tabelle in eine Grafik überführt und einige Parameter ergänzt, wird v.a. die Bedeutung von Streuung und Proportionen veranschaulicht:

<ref>Daten aus: Fuchs 2000: 401; in Grafik übertragen.</ref> XX Entwicklung Haushalteinkommen Fuchs)
 
Haushaltseinkommen (DM)19801997
Durchschnitt3.1425.555
Selbstständige7.15120.687
Beamte4.1516.622
Arbeitnehmer3.3845.372
Angestellte3.5605.594
Arbeiter3.0674.800
Sozialhilfe (STABU 2002: 115)2.388

Allein zu wissen, dass der Einkommensdurchschnitt von 3.142DM (1980) auf 5.555DM (1997) zugenommen hat, stellt gar keinen analytischen Gewinn dar; auch wenn wir wissen, dass die Gruppe aller Arbeitnehmer zusammen (Arbeiter, Angestellte, Beamte) 1997 1.988DM mehr verdient als 1980, hilft dies nicht viel weiter. Erst durch Vergleiche gewinnen solche statistischen Zahlen an Bedeutung: Wenn wir wissen, dass Arbeitnehmer 1980 noch mehr der Durchschnitt verdient haben und 1997 trotz absolutem Zuwachs nun weniger verdienen, bekommt man einen ersten Eindruck über die Lohnentwicklung. Die Differenzierung der Arbeitnehmer ergibt, dass alle Teilgruppen im Verhältnis zum Durchschnitt an Lohn eingebüßt haben, sich die Arbeiter aber noch mehr von dem Durchschnitt entfernt haben, den sie auch schon 17 Jahre zuvor nicht erreicht haben: Angestellte haben ihren überdurchschnittlichen Verdienst auf den Durchschnitt reduziert und die Beamten haben ihren Vorsprung graduell verringert und nähren sich dem Durchschnitt an.

Die relativen Verluste der verschiedenen Arbeitnehmergruppen ist nahezu gleich hoch und die Unterschiede zwischen ihnen betragen max. 33 Prozentpunkte. Werden Sozialhilfeempfänger in die Tabelle und Grafik eingefügt, wird deutlich, dass sie durchschnittlich ziemlich genau halb so viel verdienen wie Arbeiter und wesentlich weniger, als die Hälfte des Durchschnittseinkommens; neben diesen Durchschnittswerten kann im Einzelfall ein schlecht verdienender Arbeiter dann auch mal weniger verdienen, als ein Sozialhilfeempfänger. Oben ist darauf hingewiesen worden, dass dies allenfalls ein Beweis dafür ist, dass beide in gleicher Weise benachteiligt bzw. die Löhne zu gering sind. Solche Einzelfälle werden öffentlich zum Regelfall stilisieren. Das ist -so wird hier deutlich- methodisch haltlos und ansonsten freche Propaganda; deutlich wird auch, dass Sozialhilfe nicht mehr hilft, die Armutsgrenze zu überspringen, die ja genau bei 50% des Durchschnittseinkommens liegt.

Die gesamte kontroverse Diskussion um das Abstandsgebot wird geführt zwischen allen hier bisher genannten Teilgruppen; im Zweifelsfall ist es auch legitim, die Abstände als ungerecht einzuordnen und ihn zwischen Arbeitenden und Arbeitslosen vergrößern zu wollen, in welche Richtung ist allerdings die zentrale Frage; diese lässt sich legitimerweise nur vor dem Hintergrund der Streuung beantworten. Wenn alle Arbeitnehmer und Arbeitslose in gleicher Weise gegenüber dem Durchschnitt verlieren, die Unterschiede zwischen ihnen jedoch weitestgehend konstant bleiben, kann die Ungerechtigkeit logischerweise nicht zwischen ihnen gesucht und gefunden werden. Es ist eben ein mathematisches Phänomen, dass relative Verluste auf der einen Seite nicht ohne relative Gewinne auf der anderen möglich sind; die Summe aller relativen Verluste unter dem Durchschnitt deckt sich mit der Summe aller relativen Gewinne über dem Durchschnitt. Die relativen Gewinne fallen nun allein bei den Selbstständigen an. Hatten sie noch 1980 'nur' 230% des Durchschnitt verdient, waren es 1997 370%. 1980 hat der Selbstständige noch etwa doppelt so viel verdient wie der Arbeitnehmer; 1997 war es dann schon knapp das Vierfache...

Statistiken gewinnen ihren analytischen Wert also erst wenn verschiedene Parameter miteinander in Beziehung gesetzt werden. Da die allgemeine Einkommens- und Vermögenssituation besser situierter Haushalte in öffentlichen Statistiken schon kaum Berücksichtigung findet, kann es nicht verwundern, dass Beziehungen zwischen 'Gewinnern' und 'Verlierern' seltenst hergestellt, geschweige den grafisch präsentiert werden.

Warum es unlogisch und illegitim ist, zwischen den Verlierergruppen das Abstandsgebot zu problematisieren, lässt sich plakativ aufzeigen:

Auf der linken Seite der Tafel, fast am Rand, lässt sich das Durchschnittsnettoeinkommen je Person von etwa 1.400€ eintragen, etwas links daneben, 700€ niedriger liegt die Armutsgrenze, rechts, 700€ drüber, liegt die Reichtumsgrenze bei 2.100€. Der Sozialhilfesatz liegt bei etwa 600€ links unter der Armutsgrenze. Ohne einen Schritt nach rechts machen zu müssen, lässt sich das Einkommen des FH-Professors mit etwa 2.800€ als doppelter Durchschnitt einzeichnen; Bundestagsabgeordnete mit ca. 8.500€ sind einen Schritt, Bundeskanzler mit 20.000€ zwei Schritte entfernt. Manager<ref>In: 'Bild' vom 26.8.02.</ref> wie Ron Sommer ehemaliger Manager der Deutsche Telekom mit 325.000€ oder Rolf Breuer Ex Boss Deutsche Bank mit 1,12 Mio.€ im Monat passen auf keinen Fall mehr auf die Tafel und spätestens beim Monatseinkommen von Michael Schumacher in Höhe von 3,75Mio.€<ref>In: 'Bild' vom 19.3.03.</ref> müsste man den Raum verlassen, ist es doch etwa 5.300 mal so hoch wie das Durchschnittseinkommen.So platt eine solche Dokumentation auch erscheinen mag, so gut kann sie verdeutlichen, wie wenig plausibel es ist, Unterschiede zwischen den mehr oder weniger benachteiligten Gruppen zu problematisieren, statt zwischen Benachteiligten und Übervorteilten...



Im Falle von Michael Schumacher -wenn die Streuung im Einzelfall also maximale Ausmaße erreicht- spricht man von einem Ausreißer, der die statistischen Ergebnisse verfälschen kann und deshalb in vielen Untersuchungen unberücksichtigt bleibt. Bezogen auf die Gesamtsumme von zig Millionen Einkommensbezieher mag die Verfälschung gering erscheinen; im Rahmen einer kleinen Seminargruppe wirkt sich ein Ausreißer jedoch viel stärker aus: Wenn zwei Gruppen das Durchschnittseinkommen ausrechnen sollen und die Studenten alle mit +/- 50€ gleichmäßig um den Durchschnitt von 450€ streuen, ist es entscheidend, ob der Prof. mit 3.000€ mit in die 12er Gruppe einbezogen wird oder nicht: Im einem Fall liegt der Schnitt bei 450€, anderenfalls bei 645€.Wenn diese Studenten im Armuts- und Reichtumsbericht (Bundesministeriums für Arbeit und Sozialordnung 2001I: XVIIf) dann lesen, dass sie 1998 durchschnittlich über 6,4% mehr Vermögen besitzen, als 1993, werden sie sich ggf. wundern, weil sie sich weder gestern noch heute vermögend gefühlt haben. Wenn sie zudem lesen, dass das Durchschnittsvermögen 1998 bei 254.000 DM liegt, werden sie sich wundern, das keiner aus der Gruppe über so viel Geld verfügt, von allen Kommilitonen und Freunden auch niemand und vielleicht vereinzelnd die einen oder anderen Eltern.Wenn der Durchschnittswert so hoch liegt, dass ihn fast niemand erreicht, muss es sehr wenige geben, die ihn dafür um ein vielfaches übertreffen...

Um die These von gestiegenen Sozialausgaben angemessen prüfen zu können, braucht man Angaben über eine Vielzahl von Parametern und muss diese miteinander in einen Zusammenhang stellen. Wie sich leicht veranschaulichen lässt, entwickelt die Analyse ökonomischer Prozesse schnell eine unüberschaubare Komplexität:

Die folgende Tabelle stellt 39 Parameter zusammen<ref>Zu unterscheiden sind % und %-Punkte. Zwischen 10% und 15% liegen 5 %-Punkte, die Veränderung beträgt jedoch 50%. In der Tabelle geht es jeweils um die Veränderung in %.

Zur Tabelle: Entlang der Zeilennummern sollen einige Werte im Anschluss kommentiert werden:


----
  1975 1980 1985 1990 1995 (West) 1995
(ganz)
2000
(West)
2000
(ganz)
1 Bruttoinlandsprodukt ****401   1980       1996
+140%
   
2 Produktivität /Beschäftigter ****384   1980       1997
+35,8%
   
3 Preisniveau **39       1990       1998
+18,5%
4 Verfügbares HH-Durch-schnittseinkommen /Monat ****401   1980
3.142 DM
      1997
5.555DM
+77%
   
5 Verfügbares HH-Einkom-men Selbstständige/Monat ****401   1980
7.151 DM
      1997
20.664 DM
+189%
   
6 Verfügbares HH-Einkom-men Arbeiter/Monat ****401   1980
3.067 DM
      1997
4.800DM
+56%
   
7 Durchschnittseinkommen private Haushalte Nettoreal ***582       1991       2000
+15%
8 Real verfügbares Einkommen /Jahr /Person **39f       1990
28.232
      1998
27.967
-0,9%
9 Real verfügbarer Einkommen /Jahr /Beschäftigter**39f       1990
34.038
      1998
30.628
-10%
10 Verhältnis von verfügbar-em HH-Einkommen Selbstständiger gegenüber dem Durchschnittseinkom-men ****401   1980
227%
      1997
370%
+63%
   
11 Verhältnis von verfügbar-em HH-Einkommen Arbeitern gegenüber dem Durchschnittseinkommen ****401   1980
97,6%
      1997
86,4%
-11,5%
   
12 Verhältnis von verfügbarem HH-Einkommen Arbeitnehmern allg. gegenüber dem Durchschnittseinkommen ****400   1980
107,7%
      1997
96,7%
-10,2%
   
13 Einkommen der 10% Ärmsten Person Nettoreal*XVII 1973
            1998
+20%
14 Realwert des BSHG-Regelsatzes**123         1993
479,4DM
    2000
470,3DM
-1,9%
15 Leben unter der 50%-Armutsgrenze *26     1983
7,7%
      1998
9%
+17%
 
16 Anteil Geringverdiener unter 75% des durchschnittlichen Bruttoeinkommens ****394 1975
29,7%
        1996
35,9%
+21%
   
17 Anteil Gutverdiener über 125% des durchschnittlichen Bruttoeinkommens ****394 1975
14,2%
        1996
16,3%
+15%
   
18 Jahreseinkommen von 100.000-1 Mio.DM ****396     1983
651.130
1992
2.700.715
+315%
       
19 Jahreseinkommen von 5-10 Mio.DM ****396     1983
875
1992
2.275
+160%
       
20 Anteil Summe Körperschafts-, Gewerbesteuer und veranlagte Einkommensteuer am Gesamtsteueraufkommen *****41   1980
23,6%
      1994
11,3%
-52%
   
21 Anteil Lohnsteuer am Gesamtsteueraufkommen ******84   80
30,6%
      1995
34,8%
+13,5%
   
22 Anteil der Vermögenseinkommen am Gesamteinkommen ****400   1980
14,1%
      1996
22,3%
+55%
   
23 MWST
(2003 Diskussion über Erhöhung bis 20%)
11%         1994
14%
  2003
16%
+45% (75)
+14% (94)
24 Versteuerung Gewinn, Vermögen und Unternehmenseinkommen ***398     1985
17%
    1997
9%
-47%
   
25 Gesamtabzüge von Bruttoeinkommen Selbstständiger ****401   1980
30,8%
      1997
16,5%
-45%
   
26 Gesamtabzüge von Bruttoeinkommen Arbeitnehmer ****401   1980
23%
      1997
29,8%
+29,5%
   
27 Gesamtabzüge von Bruttoeinkommen Arbeiter ****401   1980
21,9%
      1997
28,3%
+29%
   
28 Privates Geldvermögen ****401   1980       1996
+245%
   
29 Unternehmensvermögen ****402   1980       1996
+325%
   
30 Netto-Unternehmensinves-titionen ****402   1980       1996
+20,8%
   
31 Vermögenssteuerpflichtige über 1 Mio.DM Vermögen**113   1980
67.311
      1995
176.920
+163%
   
32 Sozialhilfeberechtigte *XXII 1973             1998
+400%
33 Sozialhilfeberechtigte **124       1991
1,875 Mio
    1998
2,485 Mio
+32,5%
 
34 Sozialhilfequote **126       1991
2,5%
      1998
3,5%
(+40%)
35 Arbeitslosenquote **126       1991
7,3%
      1998
12,3%
+68,5%
36 Anteil der Langzeitarbeitslosen *147   12,9%           1998
37,7%
+192%
37 Sozialquote vgl. Tab. (oben) / 'Chancenfüralle'       1991 (ganz)
29,8%
      1999
33,7%
+13,1%
38 Sozialquote vgl. Tab.
(oben) / 'Chancenfüralle'
  1980
32%
          1999
33,7%
+5,3%
39 Sozialquote vgl. Tab. (oben) / TAZ 12.2.98           1996
34,9
  1999
33,7
-3,4%

Zum Einkommen:

Das Bruttoinlandsprodukt (BIP) (1) symbolisiert die gesamtgesellschaftliche Wirtschaftskraft und kann als einer der wichtigsten Indikatoren für die Frage gelten, ob der Sozialstaat durch Umverteilung der volkswirtschaftlichen Ressourcen zumindest theoretisch noch bezahlbar wäre. Die große Steigerung spiegelt sich zwar im Ansteigen der durchschnittlichen Haushaltseinkommen (4) um 77% wieder, hinter dem sich jedoch ein großes Ungleichgewicht verbirgt: Der Zugewinn von Arbeiterhaushalten (6) lag mit 56% weit unter dem Durchschnitt, während der Zugewinn der Selbstständigenhaushalte (5) -von eh schon hohem Niveau- mit 189% fast 3,5 mal so hoch war, wie bei den Arbeitern. Im Ergebnis verdienen Selbstständigenhaushalte 1997 (5+6) 4,3 mal so viel wie Arbeiterhaushalte und 8,6 mal soviel wie Sozialhilfehaushalte (STABU 2002: 115). Überdurchschnittliche Einkommenszuwächse konnten allein die Selbstständigen verbuchen, während die abhängig Beschäftigten in der Summe nicht das Durchschnittseinkommen erreichen konnten (12). Unter Einrechnung von Inflation, Steuer- und Sozialabgaben, musste jeder Beschäftigte 'im Portemonnaie' 1998 im Vergleich zu 1990 sogar auf 10% (9) und die Sozialhilfehaushalte seit 1993 auf knapp 2% (14) verzichten; nicht zuletzt weil die Sozialhilfe nicht mehr der Inflation angepasst wird. Der Anteil der Menschen, die unter der Armutsgrenze leben (15) hat sich genau so vergrößert wie der Anteil der Geringverdiener (16); auf der anderen Seite der Einkommensverteilung hat sich auch die Gruppe der Besserverdiener von 1975-1990 (17) erhöht und sind v.a. die Zahlen der Menschen mit über 100.000DM Jahreseinkommen zwischen 1983 und 1992 um 315% (18) und die mit einem Jahresverdienst von über 5 Mio.DM im gleichen Zeitraum um 160% (19) gestiegen. Die Einkommensentwicklung verläuft stark ungleichmäßig; v.a. die Nettoeinkommen dokumentieren eine zunehmende Spaltung der Gesellschaft, weil sich hier die Steuer- und Abgabenungerechtigkeit voll auswirkt.

Zu Steuern und Abgaben:

Während sich der Anteil der Lohnsteuer am Gesamtsteueraufkommen der Bundesrepublik von 1980 bis 1995 um 13,5% auf 34,8% erhöht hat (21), leistet die Summe von Gewerbe- Körperschafts und veranlagte Einkommenssteuer inzwischen einen nunmehr 52% geringeren Beitrag von 11,3% (20). Die durch die steuerliche Entlastung von Reichtum entstanden Finanzlücken in den öffentlichen Haushalten wurden von den Arbeitnehmern neben der direkten Lohnsteuer v.a. auch durch die allgemeine Erhöhung der Mehrwertsteuer<ref>Mitte 2003 werden bis zu 20% diskutiert.</ref> auf inzwischen 16% gestopft (23). Die Versteuerung von Vermögen hat sich von 1985 auf 1997 deutlich um 47% reduziert (24); ähnlich sieht es mit der Reduzierung der Gesamtabzüge bei Selbstständigen um 45% zwischen 1980 und 1997 aus (25). Im gleichen Zeitraum haben sich die Gesamtabzüge bei Arbeitnehmern um 29,5% (26) und bei Arbeitern um 29% (27) erhöht.

"Wir haben, zum großen Ärger aller linken Ideologen, die Besteuerung der Unternehmen innerhalb der vergangenen fünf Jahre um 11 Prozentpunkte gesenkt; was dazu geführt hat, das die Ertragssteuern von Unternehmen sich heute auf dem niedrigsten Stand seit Bestehen der BRD befindet" (Schäuble 1994: 128)

Logische Konsequenz einseitig gestiegener Nettolöhne sind einseitige exponentiell steigende Vermögen, die inzwischen auch nicht mehr versteuert werden müssen:

Zum Vermögen:

Die Zahl der Vermögenssteuerpflichtigen mit einem Vermögen von über 1 Mio DM stieg von 1980 bis 1997 um 163% (31). Im gleichen Zeitraum stiegen die Privatvermögen um 245% (28) und Unternehmensvermögen um 325% (29). Im Gegensatz zur Ideologie der Angebotspolitik spiegeln sich die Unternehmensgewinne nicht in den -investitionen wieder, stiegen sie im Vergleich doch nur um knapp 21% (30); ohne jedoch beschäftigungswirksam zu werden. Während sich Gewinne und Vermögen in einigen Privat- und Unternehmenshänden konzentrieren, stieg die Zahl der benachteiligten Menschen; v.a. die Zahl der Empfänger von Sozialhilfe:

Zu Sozialausgaben:

Die Zahl der Sozialhilfeempfänger in den alten Bundesländern stieg von 1973 bis 1998 um 400% (32) und zwischen 1991 und 1998 immerhin noch um 32,5% (33). Nahmen 1991 bis 1998 sowohl die Sozialhilfequote um 40% (34) und die Arbeitslosenquote um 68,5% zu (35), blieb die Sozialquote in den letzten 20 Jahren trotzdem relativ konstant. Dies bedeutet, dass sich immer mehr Menschen den gleichen Sozialausgabenteil teilen müssen und deswegen alle Hilfeempfänger quantitative und qualitative Einschnitte hinnehmen müssen. Je nach Interpretation und Setzung der Meßpunkte und -zeiträume kann man die Veränderung der Sozialquote mit +13% (37) bis -3,4% (39) beziffern.



Fazit:

Die Sozialausgaben sind nicht gestiegen, aber immer mehr benachteiligte Menschen müssen sie sich teilen. Wenn der Haushalt überfordert wird, müssen andere Variablen ursächlich sein: Um besser situierten Teilen der Gesellschaft steigene Einkommen und Vermögen zu sichern, werden sie steuerlich begünstigt; dies führt von der Einnahmenseite her zu massiven Finanzproblemen der öffentlichen Haushalte. Die Sozialausgaben werden also zu Unrecht skandalisiert und reduziert. Wenn darauf verwiesen wird, dass die Lohnnebenkosten in anderen Ländern geringer sind, mag das zunächst stimmen, dort werden soziale Leistungen jedoch stärker über Steuern finanziert. An diesen beteiligen sich dort dann aber auch die Wirtschaft und die Reichen in angemessenem Maße;<ref>Vgl. Stefan Bach; Deutsches Institut für Wirtschaftsforschung, in: Monitor am 24.04.03.</ref> die deutsche Debatte zielt nun jedoch darauf ab, zugleich auf Steuer- wie auch auf der Abgabenseite Reichtum und Unternehmen zu begünstigen und Arbeitnehmer und sozial benachteiligte Menschen über Verbrauchs-, Lohnsteuern, Leistungseinschränkungen und privater Sozialversicherungen beidseitig zu belasten.

"Anhand verschiedener volkswirtschaftlicher Größen ist festzustellen, dass der produzierte Reichtum in der BRD gewachsen ist: Das reale BIP -bezogen auf das alte Bundesgebiet- war 1997 um 40% höher als noch 1980. Bezogen auf das ganze Bundesgebiet sind es 33% mehr. Die Produktivität pro Beschäftigtem lag 1997 gegenüber 1980 um 35,8% höher. Gewiss sind seit dieser Zeit auch die Belastungen der öffentlichen Haushalte gewachsen, dennoch verdeutlichen diese Zahlen, dass keine Rede davon sein kann, dass die Bundesrepublik eine arme Gesellschaft' ist. Wenn man dennoch von einem armen 'Sozialstaat' sprechen kann, so deutet dies darauf hin, dass die Finanzierung des Sozialstaats mit dem Reichtum der Gesellschaft nicht Schritt hält" (Fuchs 2000: 385, vgl. Schumann 1998: 307f).

Es gibt kein Problemen mit Sozialausgaben, jedoch mit Solidareinnahmen! Das sozialpolisch zentrale Problem ist also nicht die Armut sondern der Reichtum!

2. Es ist kein Geld da! - Ist kein Geld da?

In diesem Teil der Betrachtung geht es um die Verteilung des gesamtgesellschaftlichen Einkommens und Vermögens und die Frage, 'ist wirklich nicht genug Geld da?' Herbert Schui und Eckart Spoo (1996) beantworten diese Frage vor zwar längerer Zeit, dafür aber so anschaulich wie ein eindeutig: "Geld ist genug da - Reichtum in Deutschland." Soziale Benachteiligung sei in der Bundesrepublik (im Gegensatz zu Entwicklungsländern) ein Problem der Verteilung volkswirtschaftlicher Ressourcen; das Geld welches benachteiligten Menschen vorenthalten wird, befindet sich tatsächlich nicht in den öffentlichen Kassen, aber als Reichtum in privaten Taschen. Das genannte Buch kann als Aufforderung gesehen werden, im sozialpolitischen Diskurs die Ursache für die Finanzmisere endlich ehrlich beim Namen zu nennen: Reichtum!

In den bisherigen Kapiteln wurde schon mehrfach darauf hingewiesen, dass sich Einkommen und v.a. Vermögen höchst ungleich verteilen. Es soll hier nicht für absolute Gleichheit plädiert werden, sondern i.S. Rawls (s.o.) für eine Ungleichheit, die den relativ benachteiligten Menschen die Garantie für ein menschenwürdiges Leben gibt; diese Garantie dann aber auch wirklich einlöst. Eine überdurchschnittliche Belohnung für Leistungs-, Einsatz- und Risikobereitschaft scheint existenziell, um wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Fortschritt zu ermöglichen, ist die Belohnung jedoch so hoch, dass anderen ihr menschenwürdiges Leben zu Disposition gestellt wird, verkehrt sich Fortschritt in Stagnation oder Barbarei!

Die Festlegung der Armutsgrenze bei 50% des durchschnittlichen Einkommens der jeweiligen Volkswirtschaft ist ein methodischer Kunstgriff, Armut zu definieren; er lässt sich auch auf Vermögen übertragen:

[Bearbeiten]Arm ist, wer

Will man die Grenze auch auf Reichtum übertragen, ist der mathematisch und statistisch saubere Schritt, zu sagen, dass reich ist, wer

So wäre der Abstand vom Durchschnitt zum Reichtum und zur Armut gleich hoch; es hat sich in der Diskussion jedoch eine Reichtumsgrenze etabliert die beim doppelten des Durchschnitts liegt: Damit ist der Abstand zum Reichtum mit 100% doppelt so hoch, wie zur Armut.

Reich ist nun, wer

Wenn man dies mit Zahlen füllt, sieht es wie folgt aus:<ref> Haushaltsvermögen (1998 alte Bundesländer): Bundesministeriums für Arbeit und Sozialordnung 2001I: XVII

Haushaltseinkommen (1997 ganz BRD): Fuchs 2000: 401</ref>

[Bearbeiten]Arm ist, wer

Reich ist, wer

Eine Volkswirtschaft, in der für jeden Haushalt durchschnittlich im Monat 5.555DM Einkommen und 254.000DM Vermögen zur Verfügung steht, kann nicht arm sein! Würde Armut ernsthaft bekämpft werden, müsste jedem Haushalt 2.777DM Einkommen und 127.000DM Vermögen zugesichert werden. All jene Haushalte, die z.Zt. unter diesen Grenzen liegen müssten von den Haushalten unterstützt werden, die oberhalb der Reichtumsgrenze Einkommen erhalten und über Vermögen verfügen. Wenn wir uns erinnern,

dann wird schnell deutlich, dass prinzipiell in der Bundesrepublik niemand unterhalb der derzeitigen Armutsgrenze leben müsste; dass dafür 'genug Geld da ist.'

3. Soziale Sicherung ist kostenintensiver unnötiger Ballast, der den internationalen Wettbewerb erschwert und deshalb zum Wohle aller über Bord geworfen werden muss. - Zum ökonomischen Nutzen Sozialer Arbeit:

In der allgemeinen Diskussion um die Zukunft des Sozialstaates werden Ökonomie und soziale Sicherheit zum Widerspruch stilisiert und einseitige Abhängigkeiten konstruiert: Die soziale Sicherung basiere auf der Ökonomie, deshalb müsse erstere in Zeiten wirtschaftlicher Krise als Ballast über Bord geworfen werden; Sozialabbau stabilisiere die Wirtschaft, sei funktional und diene damit letztendlich der Allgemeinheit...

Wenngleich Vobruba (1991) den Zusammenhang zwischen Ökonomie und Sozialstaat nicht gänzlich umkehren möchte, verweist er zumindest darauf, dass beide Seiten in einem quasi symbiotischen Verhältnis zueinander stehen: Soziale Sicherung ist ohne wirtschaftlichen Erfolg nicht denkbar; da Soziale Sicherung aber einen 'ökonomischen Zusatznutzen' produziere, wäre wirtschaftliches Wachstum jedoch ohne den Sozialstaat blockiert. Diese wechselseitige Abhängigkeit -mit dem Begriff der 'sozialen Marktwirtschaft' fest institutionalisiert- war seit Gründung der Bundesrepublik sehr erfolgreich; sie einseitig aufzukündigen riskiere somit, denn allgemeinen Wohlstand zu gefährden.

"Hie Ökonomie - da Sozialstaat. Der Dualismus legt Entgegensetzungen nahe und lädt zu Konfrontationen ein: Markt Effizienzorientierung, Ellenbogenprinzip auf der einen Seite, Zentralismus, Versorgungsmentalität, Solidarität auf der anderen. Die Listen der jeweiligen Assoziationen ließen sich beliebig verlängern. All jene Argumentationen, die auf einen eindeutigen Primat des ökonomischen Systems hinauslaufen, sind in diesem Dualismus gut aufgehoben. Sie forcieren die These von der einseitigen Abhängigkeit des Sozialstaates vom ökonomischen System. Sozialpolitik reduziert sich dabei -im günstigsten Fall- auf ein notwendiges Übel. Der Sozialstaat als Kostgänger der Wirtschaft, Sozialleistungen als Soziallasten, Sozialleistungsbezieher als 'Mit-Esser' - ein ganzes Arsenal an Begriffen steht bereit, um die Priorität der Ökonomie gegenüber dem System sozialer Sicherung zu beschwören. Das wirtschaftspolitische Feuilleton und die feuilletonnahe wirtschaftswissenschaftliebe Publizistik bedienen sich gerne dessen" (Vobruba 1991:47).

Der Dualismus zwischen Sozialem und Ökonomie müsse -nach Vobruba- in der Argumentation um die Zukunft des Sozialstaates durchbrochen werden, weil ansonsten keine gemeinsame Diskussionsebene zwischen 'Gegnern' und 'Schützern' des Sozialstaates entstehen kann. Man müsse eine gemeinsame Sprache sprechen. Diese ist unentbehrlich, will man sich in der direkten Diskussion -oder auch vermittelt über die Medien indirekten- gegenseitig überzeugen. Vobruba leitet her, warum die Soziale Arbeit sich auch der gemeinsamen ökonomischen Diskussion selbstbewusst stellen kann und sollte: Weil die Soziale Arbeit einen 'ökonomischen Zusatznutzen' bzw. -als Investition betrachtet- eine ökonomische bzw. ökonomisierbare Rendite 'erwirtschaftet'. Da gerade das Kostenargument die Soziale Arbeit in die Defensive gedrängt hat, liege in ihm auch die größte Chance, die Defensivposition wieder zu überwinden:

"Die Untersuchung von ökonomischem Zusatznutzen staatlicher Sozialpolitik kann immer noch für sich in Anspruch nehmen, erhebliches Aufklärungspotential zu bieten. Denn immer noch wird fundamentalistische Sozialstaatskritik im Namen ökonomischer Rationalität vorgetragen. Immer wieder wird sozialstaatliche Sicherung als ein Beharrungsmoment missverstanden, welches der ökonomischen Rationalität entgegensteht. Das konservative Missverständnis, auf dem der Anti-Sozialstaats-Affekt beruht, hat in der jüngeren und jüngsten Vergangenheit noch Auftrieb erhalten" (Vobruba 1991:45).

Vobruba vollzieht mit seiner ökonomischen Argumentation einen Systemsprung, da er die traditionell moralisch-ethische Argumentation gegen Sozialabbau verlässt. So wie die Ökologiebewegung inzwischen darauf hinweist, dass die ökonomischen Schäden der 'Jahrhundertflut' an der Elbe, sowie die weltweite Zunahme von Versicherungsschäden durch Sturm und Überschwemmung, dem umweltzerstörerischen Ausbau von Wasserwegen und der Produktion von Treibhausgasen geschuldet ist, kann auch die Soziale Arbeit ihr moralisches Interesse ökonomisch begründen. Der ökonomische Nutzen falle auf drei Ebenen an, in denen die Adressaten Sozialer Arbeit unterschiedliche Rollen einnehmen (vgl. Vobruba 1991:50):

Ich will die Argumentation entlang Vobrubas Dreiteilung hier nur knapp illustrieren, da einzelne Aspekte schon aufgegriffen wurden:

Arbeitskraft, Arbeitskompetenz, Arbeitsmotivation nützen dem Unternehmen:

Soziale Unterstützung von Arbeiter (und später auch Armen) durch Ökonomie und/oder Staat vollzog sich nie uneigennützig; ging es der einen Seite letztendlich doch immer um die Steigerung von Produktivität und Profit, betrieb die andere die Entpolitisierung der Arbeiter zur Sicherung der eigenen Herrschaft:

"Die Arbeiterschaft musste den Eindruck gewinnen, dass der Klassenkampf von oben gegen sie geführt wurde und dass es den herrschenden Kreisen letztlich nicht um die Verbesserung der Lage der Arbeiterschaft, sondern um die Festigung und Aufrechterhaltung der bestehenden Staats- und Gesellschaftsordnung ging. (...) Die Sozialpolitik der (18)50er Jahre ist eine Politik der Furcht, die nicht aus dem Bestreben hervorgeht, den Armen zu helfen, sondern sie von sich abzuhalten, sich gegen die Anforderungen der Armen möglichst zu schützen und sich von der Gefahr zu befreien, die uns durch das Anwachsen des Proletariats in den Städten mehr und mehr entgegentritt."<ref>H.Volkmann 1968:943ff Die Arbeiterfrage im preußischen Abgeordnetenhaus 1848-1869, Berlin</ref>

Die Einsicht, dies nicht ohne soziale Sicherung realisieren zu können, war die Basis für den Klassenkompromiss, von dem prinzipiell alle Beteiligten profitieren konnten. Nicht mehr 100% kapitalistische Ausbeutung, sondern maximale Ausbeutung wurden nun angestrebt, um die Zerstörung von Arbeitskraft und die Politisierung zu vermeiden. Abgesehen davon, dass zum Ende des 19.Jh. noch nicht und zu Beginn des 21.Jh. nicht mehr, die soziale Sicherung ein zufriedenstellendes Niveau erreichte, hat sich an der Einsicht prinzipiell nichts geändert:

dann verlieren Arbeitnehmer, Gesellschaft, Staat und Unternehmer zugleich. Zur Bewertung sozialer Sicherung zur Jahrhundertwende zum 20. Jh. schreibt Lampert Heinz i.d.S.:

"Die Vermeidung von Arbeitslosigkeit und die Sicherung der wirtschaftlichen Existenz Arbeitsloser, die Vermeidung von Arbeitsunfällen und die wirtschaftliche Absicherung bei Eintritt von Arbeitsunfällen, beides Ziele der Sozialpolitik, können als Ziele der Vermeidung von Sozialkosten und damit als Ziele einer auf Gerechtigkeit bedachten Wirtschaftsordnungspolitik interpretiert werden. Die auf die Sicherung und Verbesserung der Gesundheit und der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit der Arbeitnehmer gerichtete Sozialpolitik ist gleichzeitig Wachstumspolitik, weil sie auf die Verbesserung der Struktur und der Qualität eines elementaren Wachstumsfaktors zielt" (Lampert 1980: 82).

Wenn Alfred Krupp anmerkte 'Was wir den Arbeitern ersparen, ersparen wir uns selbst', verdeutlicht er seine Motivation, schon Mitte des 19.Jh. umfangreiche soziale Hilfen seinen Beschäftigten zuteil werden lassen. Die Einrichtung von Werkswohnungen, Konsumanstalten, Betriebskranken- und Pensionskassen, Krankenanstalten, Erholungshäuser, sowie Kulturangebote sicherten und verbesserten Arbeitskraft sowie -motivation seiner Beschäftigten und deren Identifikation mit und Loyalität zum Unternehmen. Wenn heute Betriebssozialarbeiter von Daimler-Crysler Zugriff auf einen Sozialfonds haben, um familiäre Probleme ihrer Mitarbeiter (z.B. Rollstuhl für Kinder, teure Operationen für Ehepartner...) zu lösen, oder andere Unternehmen auf eigene Kosten Masseure finanzieren, Sportvereinsbeiträge übernehmen und Ferienhäuser billig an die Beschäftigten vermieten, dann ist dies vergleichbar.

Vobruba zitiert Schmid&Reissert&Bruche<ref>Schmid, Günther; Reissert, Bernd; Bruche, Gerd Arbeitslosenversicherung und aktive Arbeitsmarktpolitik 1987: 205</ref> um zu verdeutlichen, das staatliche Hilfeangebote wichtig sind, damit Arbeitnehmer und von Arbeitslosigkeit bedrohte oder betroffene Menschen notwendige Rationalisierungs- und Modernisierungsprozesse der Unternehmen nicht behindern:

"Die Existenz der Arbeitslosenversicherung kann die allokative Effizienz des Arbeitsmarktes erhöhen: etwa die Mobilität und damit die Anpassungsfähigkeit des Arbeitsmarktes an neue technologische Faktorkombinationen oder an neue Nachfragekonstellationen. Eine 'generöse' Arbeitslosenversicherung kann dann als produktive Subventionierung derartiger Mobilitätsprozesse verstanden werden. Auch die Bereitwilligkeit, zeitlich befristete Arbeitsangebote oder Arbeitsplätze mit bekannt hohem saisonalen Arbeitslosigkeitsrisiko anzunehmen, dürfte mit 'generösen' Versicherungsleistungen steigen; auch solche Arbeiten müssen getan werden und ihre Unterstützung, wenn nicht gar Subventionierung, trägt somit zur Flexibilität des Arbeitsmarktes bei."

"Von hier führt ein direkter Weg zu den Diskussionen über Sozialpolitik als Voraussetzung der Absicherung von Errungenschaften der Moderne und für weitergehende ökonomische und ökologische Modernisierung", ergänzt Vobruba.

Wenn Menschen befürchten müssen, im Falle der Arbeitslosigkeit ins existenzielle Nichts zu stürzen, klammern sich alle an ihren Arbeitsplatz, steigern Konkurrenz, Neid, Missgunst und Mobbing und erzeugen ein Arbeitsklima in dem die Produktivität einbricht und die Produktionskosten steigen. Folgen wir Rawls, wird deutlich, dass Innovation, sowie Risiko- und Experimentierfreude nicht nur eine Frage der Belohnung ist, sondern in gleichem Maße auch eine der sozialen Sicherheit, im Falle des Scheiterns nicht zu hart zu fallen. Neben der Bereitschaft, notwendige Umstrukturierungen, Modernisierungen und Rationalisierungen von Unternehmen mit zu tragen, ist die Frage der fachlichen Qualifikation eine zentrale Grundlage für wirtschaftliche Entwicklung:

Vor einigen Jahren wurde in der Diskussion um die Anwerbung indischer Computerspezialisten deutlich, wie schnell die Ökonomie ins Stocken gerät, wenn angesichts von Kürzungen im Bildungs- und Fortbildungsbereich und der Weigerung der Unternehmen, sich zuvor selber in der Ausbildung zu engagieren, qualifizierte Mitarbeiter fehlen. Der 'Sputnikschock war 1957 für die USA ein vergleichbares Ereignis, das den Eindruck eines technischen Rückstandes gegenüber dem 'Ostblock' verbreitete. Sofort wurden umfassende Bildungsprogramme finanziert, um den vermeintlichen Rückstand auszugleichen; Bildungsökonomie oder -investitionen sind i.d.Z. die Stichworte, welche den Zusammenhang zwischen Investition in 'Humankapital' und späterem ökonomischen Zusatznutzen aufzeigen. Nach der Wiedervereinigung wurde der Zusammenhang deutlich, als die Qualifikation der Menschen aus der ehemaligen DDR mit den Qualifikationsanforderungen der westdeutschen Produktionstechnik vielfach nicht kompatibel war und es umfangreicher Investition bedurfte, diese Unterschiede auszugleichen. Bzgl. der Argumentation gegen Sozialabbau kann der Schluss gezogen werden, dass es nur wenig Sinn macht, im Falle der Wirtschaftskrise Sozialinvestitionen einzustellen, ist die Krise doch selbst u.a. anderen durch Sozialabbau entstanden.

Präventive Investitionen in Humankapital, soziale Integration und sozialem Frieden wären in der Vergangenheit billiger gewesen, als heute den Flurschaden sozialer Desintegration notdürftig zu reparieren. Zum Aufbau der Argumentation ist es aber auch wichtig, auf dokumentierten Erfahrungen zurückzugreifen, um präventiv die nötigen Investitionen sicherzustellen. Da es hier um Nutzen auf Unternehmensebene geht, sollte es selbstverständlich sein, die Unternehmen zur Finanzierung des Bildungs- und Ausbildungssektors heranzuziehen. Die derzeitigen Versuche, nach den erschreckenden Ergebnissen der PISA-Studie die Bildungsqualität zu verbessern, indem man bsp. aus dem Sozial- oder Jugendhilfebereich Mittel umschichtet, ist sehr kurz gedacht...<ref>Bundeswirtschaftsminister Clement will durch Einsparungen im Bereich AFG/BSHG Milliarden für Bildung freischaufeln; das ist ein Nullsummenspiel unterm Strich ohne eine Verbesserung, weil beide Bereiche sich wechselseitig bedingen. Vgl. 'Der Spiegel' 52/02.</ref> Es kann nicht sein, die Qualifikationserwartungen der Unternehmen zu erfüllen, ohne sie selbst an der Finanzierung zu beteiligen.

Einige investive Sozialmaßnahmen seien exemplarisch kurz skizziert:

Hohe Löhne und hohe Sozialleistungen stärken die Rolle der 'Einkommensverwender' und stimulieren bzw. stabilisieren den Wirtschaftskreislauf:

Wie im Zusammenhang mit der Nachfragepolitik schon verdeutlicht, entsteht ein ökonomischer Zusatznutzen, wenn die Empfänger hoher Löhne und Transferleistungen mehr konsumieren und so Binnennachfrage und Produktion stimulieren. Dies geschieht zum einen direkt, wenn soziale Transferleistungen und Löhne ausgegeben werden oder indirekt, wenn Zukunftsängste und -sorgen durch eine hohes soziales Sicherungsniveau genommen sind, so dass mehr Geld ausgegeben statt für schlechte Zeiten zurückgelegt wird. Während reiche Menschen und Unternehmen nur einen geringen Anteil ihrer finanziellen Entlastung zum Wohle aller investieren (Tabelle 29+30), geschweige den konsumieren, werden finanzielle Entlastungen/Hilfen relativ benachteiligter Menschen nahezu vollständig in Konsum umgewandelt:

"Die Reformen der Bundesregierung treffen in der Tendenz die Ärmsten der Gesellschaft und damit die Schichten, die ihr ganzes Geld ausgeben müssen. Nimmt man ihnen Geld weg, belastet man damit unmittelbar die Nachfrage, denn sie können das Geld eben nicht mehr ausgeben. Das belastet den Konsum, damit die Binnennachfrage, damit Wachstum und damit bleibt die Arbeitslosigkeit auch hoch. Wir haben berechnet, welche Auswirkungen die Reformagenda 2010 auf Konjunktur und Beschäftigung haben wird. Unsere Ergebnisse zeigen, dass die Beschäftigung in den nächsten zwei Jahren dadurch um knapp 100.000 Arbeitsplätze sinken wird."<ref>Prof. Gustav Horn in: 'Monitor' vom 24.04.03.</ref>

I.S. der Nachfragepolitik hergestellter Massenkonsum stellt nicht nur wegen seiner Höhe einen unternehmerischen Gewinn dar, sondern v.a. auch wegen seiner Kontinuität; durch die Stabilisierung des Konsums erhöht sich für die Unternehmen die Planungssicherheit. Kapazitätenberechnungen und Investitionen lassen sich genauer dosieren, Planungs- und Umplanungskosten werden reduziert und der innerbetriebliche Frieden erhöht sich, wenn mit der allgegenwärtigen Unsicherheit über Ab- und Umsatz auch die Sorge um den Arbeitsplatz wegfällt; eine verbesserte Arbeitsatmosphäre lässt sich direkt übersetzen mit einer Erhöhung der Produktivität.

I.Z.m. der informellen Ökonomie und dem 3.Sektor wurde schon festgestellt, dass sozial-solidarische Ressourcen in Freundeskreis und Nachbarschaft erst aufbauend auf einer gesicherten Existenz entwickelt und erschlossen werden. Sind benachteiligte Menschen von der Not um ihre Existenz befreit, produzieren sie 'geldwertes' Sozialkapital für sich, ihr soziales Umfeld und die Nachbarschaft. Dieses Zusatzkapital muss in einer volkswirtschaftlichen Gesamtberechnung einbezogen werden, weil es ermöglicht, an anderer Stelle ökonomisches Kapital auszugeben.

Positiv integrierte Menschen verursachen weniger Kosten für soziale Kontrolle und Therapie. Sie sind leistungs- aber auch hilfsbereiter in der formellen und informellen Ökonomie; sozialer Frieden ist ein Standortfaktor und sicher Investitionen in die Zukunft. Schon Hobbes (s.o.) hat verdeutlicht, dass sich die Ökonomie nur optimal entwickeln kann, wenn der Staat sozialen Frieden herstellt. Dies bezieht sich darauf, dass

Schon diese einfache Konstruktion macht deutlich, dass das Gleichgewicht gestört werden kann, wenn der Preis zu hoch oder die Ressourcen zu gering sind. Soll sozialer Frieden und gesamtgesellschaftliche Integration bzw. Stabilität nicht gefährdet werden gilt es entweder die Kaufkraft zu stabilisieren oder den Preis und damit die Gewinnspanne zu reduzieren. Die aktuelle Situation, dass hohe Gewinne und Preise einhergehen mit sinkendem Einkommen, provoziert gesellschaftliche Desintegration, die entweder durch sozialpolitische oder repressive Staatsintervention reguliert werden muss. Beide Interventionen kosten Geld. Da der Staat prinzipiell die volkswirtschaftliche Gesamtentwicklung im Auge haben muss, ist es letztendlich egal, ob das fehlende Geld durch Umverteilung nach 'unten' oder durch Kreditaufnahme mobilisiert wird; logischerweise können es auf jeden Fall nicht jene bezahlen, die selbst von Desintegration betroffen sind; auch Umschichtungen zwischen einzelnen benachteiligten Teilgruppen scheint erfolglos, weil alle Form von Benachteiligungen miteinander in einem direkten oder indirekten Ursache-Wirkungs-Verhältnis stehen. Letztendlich führt daher jede zusätzliche Benachteiligung durch Sozialkürzungen -egal an welcher Stelle- zunächst zu Benachteiligungen an anderer Stelle und später zu volkswirtschaftlichen Folgekosten. Der im Kapitel Evaluation dokumentierte Artikel skizziert den Umkehrschluss, dass jede sozialpolitische Intervention, an jeder Stelle eine ökonomische oder ökonomisierbare Rendite erwirtschaftet.

 
Die Grafik mag einen Eindruck vermitteln:<ref>Aus Dang:</ref>
 

Da abgesehen von der Kaufkraft zahlreiche für die Ökonomie relevante Aspekte von der Dynamik der Benachteiligung erfasst werden, gibt es zahlreiche Ansatzpunkte für präventive sozialpolitische Interventionen, die einen 'ökonomischen Zusatznutzen' produzieren; einige sind oben schon erwähnt:

Da sich Unternehmen über kurz oder lang eh an der Regulierung gesellschaftlicher Desintegration beteiligen müssen, weil der Kreditrahmen ausgeschöpft ist und die benachteiligten Menschen am Ende ihrer finanziellen Möglichkeiten stehen, könnten sie auch sofort anfangen. Dies ist nicht nur billiger, sie investieren zugleich in das Humankapital ihrer zukünftigen Mitarbeiter und stabilisieren die Nachfrage ihrer eigenen Produktion.

Fazit:

Auf dem ersten und kurzen Blick, scheint soziale Sicherung nur Geld zu kosten; auf dem zweiten -einem Blick in die nachhaltigen Auswirkungen sozialpolitischer Ausgaben- offenbart sich ein ökonomischer Zusatznutzen. Im 'Arbeitnehmer' wird dieser verdeutlicht, wenn er den unternehmerischen Qualitätserfordernissen entspricht oder sie gar übertrifft, innovative Beiträge zur Unternehmensentwicklung beisteuert, sich unternehmerischen Entwicklungen nicht entgegenstellt...

Im 'Einkommensverwender' wird dieser verdeutlicht, wenn mit dem Konsum auch der Umsatz der Unternehmen steigt und wegen der Kontinuität des Konsums genauer und längerfristig unternehmerisch geplant werden kann...

Im 'Gesellschaftsmitglied' wird dieser deutlich, wenn Desintegration verhindert und sozialer Frieden hergestellt wird und der Wirtschaftsstandort weder durch gezielte kollektive oder diffuse Kämpfe aller gegen das Kapital oder gegen alle anderen, gefährdet wird. Förderliche Rahmenbedingungen in der Gesellschaft bieten zugleich die Grundlage für den zufriedenen und produktiven 'Arbeitnehmer', sowie dem integrierten Gesellschaftsmitglied.

Da Politik, Verwaltung und Unternehmen jedoch kurzfristig denken; kurzfristige Renditen erzielen, kurzfristige Einsparungen vorweisen und kurzfristig Einstellungen und Entlassungen vornehmen wollen, sind sie zunächst wenig empfänglich für langfristige volkswirtschaftliche Argumentationen. Die 'Machtergreifung' der Betriebswirtschaft in der Sozialstaatsdebatte hat kurzfristiges Denken bis hinein in die Jugendhilfe getragen; als einen Ort wo langfristiges Denken bisher als unumstritten galt:

Alle Beteiligten hoffen, vom ökonomischen Zusatznutzen profitieren zu können, ohne selbst einen Beitrag zu zahlen; irgendjemand wird es schon machen. Diese Hoffnung trügt, da eben- alle so denken. Sozialausgaben stellen jedoch eine Investition in die Zukunft dar, die der Ökonomie in Gänze als Grundlage dient, statt diese zu belasten; die Egoismen der einzelnen Unternehmen wird ihnen in der Summe später in Gänze schaden...

Die sozialen Institutionen werden als Ergebnisse der betriebswirtschaftlichen Debatte in eine ruinöse Konkurrenz gezwungen, so dass systematisch der Wirkungsgrad aller reduziert wird; nicht zuletzt weil die exponentiell steigende Arbeitszeit für fachfremde Aufgaben (Evaluation, Berichtswesen, Sponsoring, Öffentlichkeitsarbeit und v.a. Kampf um die Existenz von Träger und Arbeitsplatz) nicht ersetzt wird.

Wenn Soziale Arbeit und ihr Klientel zu -die Allgemeinheit belastenden- 'Mitessern' erklärt werden, um die Finanzierung zu reduzieren, kann Soziale Arbeit den 'ökonomischen Zusatznutzen' nicht mehr produzieren. Man könnte zu dem Schluss kommen, es wäre für alle Seiten konsequenter, man beendet das Projekt Sozialstaat sofort. Systemstabilisierung kann nicht um jeden Preis Aufgabe der Sozialen Arbeit sein; es bleibt immer eine Frage des Niveaus Sozialer Sicherung. Es ist unterschritten!






Nächstes Kapitel: Zusammenfassendes Fazit